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Banker, Mäzene und Partisanen

■ Ein Gespräch mit Ron Chernow, dem Biographen der erstaunlichen Warburg-Familie

Die Hamburger Familie Warburg ist eine der ältesten ununterbrochen im Bankgeschäft tätigen Familien der Welt. In einem umfangreichen Buch zeichnet der amerikanische Autor Ron Chernow die letzten 150 Jahre ihrer Geschichte. Im großangelegten Panorama zwischen Hamburg, London, New York und Palästina begegnen die Leser Menschen, die auf beiden Seiten des Atlantiks in die Geschichte eingriffen – als internationale Finanzpolitiker, als Mäzene und Partisanen, Literaten und Kulturwissenschaftler.

taz: Sie sind aufgewachsen in einer russisch-jüdischen Familie in New York. Wie kamen Sie als amerikanischer Autor auf ein Thema, dessen Zentrum in Hamburg liegt?

Ron Chernow: Ein Grund ist: Es ist zwar jetzt fast Mode, über den Holocaust zu schreiben, aber dabei entsteht oft ein schiefes Bild der jüdischen Gemeinschaft. Meist werden die Juden ohnmächtig und ausgeliefert dargestellt. Historisch gesehen waren die deutschen Juden gerade das Gegenteil: sie waren die Besten im Geschäft, sie hatten das höchste Selbstbewußtsein und die meisten Ressourcen aller jüdischen Gemeinschaften in der Welt.

Deshalb fand ich es interessant, über eine deutsch-jüdische Bankiersfamilie zu schreiben, die im Kaiserreich außerordentlichen Erfolg hatte. Und einmal aus einer anderen Sicht zu zeigen, wie es einflußreichen Leuten mit herrschaftlichem Besitz in Blankenese während des „Dritten Reichs“ erging. Was mit den einfachen Leuten geschah, die in der Mitte der Nacht aus ihrer Wohnung geholt wurden, wissen wir ja.

Das Buch liest sich wie ein Abenteuer-Roman, aber es ist auch an erstmalig zugänglichen Akten orientiert. Sind Sie eher Literat oder eher Geschichtsschreiber?

Beides. Für die Leute, die meine Bücher schätzen, macht genau diese Kombination den Charme aus. Es gibt strenge Akademiker, die sich daran stören, daß ich fähig bin, ausgiebige Forschung zu betreiben, sie dann in die Form einer Familien-Saga zu packen und dabei 150 Prozent präzise an den Fakten zu bleiben.

Eigentlich bin ich ein gescheiterter Romancier. Ich habe ein abgeschlossenes Literatur-Studium und liebe speziell die viktorianischen Romane. Ich wollte immer sehr große Romane mit enormen Mengen von Personen und endlosen Verwicklungen schreiben... doch beim Training dafür entdeckte ich, daß ich eigentlich mehr ein Non-Fiction-Autor bin. Der Erfolg meiner Bücher beruht darauf, daß ich literarische Sensibilität zum historischen Schreiben mitbringe. Ich mische Anekdoten mit Analysen.

Ihr Buch endet auf Seite 860 mit der Frage: „Sind die Warburgs vergeblich zurückgekehrt?“ Sie sprechen damit den neuen Antisemitismus in Deutschland an. Wie schätzen sie aktuell die politische Situation in Deutschland ein?

Natürlich bin ich über den Rechtsextremismus beunruhigt und enttäuscht darüber, daß Helmut Kohl nicht früher und deutlicher Stellung bezogen hat. Aber ich glaube auch, daß Deutschland (übrigens im Unterschied zu Japan) sehr wohl die Lektion der Vergangenheit gelernt hat.

Heute ist Deutschland ein demokratischer Staat mit funktionierender Wirtschaft geworden – jedenfalls im Prinzip. Deshalb glaube ich nicht an eine wirkliche Gefahr.

Ist das Buch in den USA ein Bestseller?

Ja, es läuft gut, obwohl die Warburg-Familie dort unbekannt ist. Kommerziell war es riskant, über so ein Thema zu schreiben. Doch das Buch ist ja auch allgemeiner zu verstehen.

In Amerika wird seit einiger Zeit die spezielle Herkunft wieder stark betont, gleich ob schwarz, irisch, oder jüdisch. Inzwischen wird es schon schwierig, überhaupt noch eine amerikanische Identität über den individuellen Religions- oder Volksgruppen auszumachen. Der Zusammenhang der Gesellschaft droht auseinanderzubrechen.

Angesichts solcher Tendenzen ist der Clan möglicherweise die einzige haltbare Struktur...

Ja, ich habe über eine echte Familie geschrieben. Wir haben heute Gruppen von Leuten mit demselben Nachnamen, aber keine Familien mehr. Die Warburgs waren außerordentlich individuell und hatten dennoch einen sehr hohen Zusammenhalt.

Das erkläre ich aus ihrer Geschichte. Im 18. Jahrhundert wurde einer Minderheit das Finanzmonopol aufgezwungen. Dadurch wurden einige wenige aus einer armen Gruppe sehr reich und hatten damit die Pflicht, sich um die anderen zu kümmern – kein Wohlfahrtsstaat nahm ihnen das ab.

Die Familie Warburg ist seit vierzehn Generationen im Bankgeschäft. Dabei waren sie immer aktiv für die Wohlfahrt engagiert: sie unterstützten das jüdische Hospital, die Schule und die Synagoge mit Zeit und Geld. Darüber hinaus taten sie viel für ihren jeweiligen Staat: Paul Warburg war Mitbegründer der amerikanischen Zentralbank, Max Warburg setzte sich für die Weimarer Republik gegen die Reparationsverträge des ersten Weltkriegs ein, Jimmy Warburg war Berater Präsident Roosevelts, Erich Warburg kämpfte in der US-Armee und verhörte Reichsmarschall Göring.

Für Leute der Finanzwelt hatten sie einen unwahrscheinlich weiten Horizont. Wenn man bedenkt, wer heute in der Wall-Street arbeitet – da trifft man kaum einen Manager, der in den letzten sechs Monaten ein Buch gelesen hat oder Zeit hatte für Politik oder Kultur. Persönlichkeiten wie die Warburgs wird es wohl nicht mehr geben. Generell werden Entscheidungen kaum mehr von einzelnen Individuen getroffen, die Geld und Zeit, Fachkompetenz und persönliche Beziehungen rund um die Welt haben.

Fragen: Hajo Schiff

Ron Chernow, „Die Warburgs – Odyssee einer Familie“, 960 Seiten, Verlag Wolf Jobst Siedler, Berlin, 78 Mark.

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