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Polens neue Steuerdemokratie

Regierung und Präsident blockieren sich gegenseitig bei der Steuerfestlegung / Keiner weiß, welcher Steuersatz jetzt gilt / Haushalts- und Steuergesetz widersprechen sich  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Um ihr Haushaltsloch zu stopfen, ist Polens regierende Linkskoalition dringend auf höhere Steuereinnahmen angewiesen. Doch Polens Präsident Lech tut alles, um ein entsprechendes Steuergesetz zu verhindern. Gegen sein Veto die nötige Zweidrittelmehrheit zusammenzubekommen, gelang der Regierungsmehrheit zwar.

Walesa jedoch zog nach und klagte gegen das Gesetz vor dem Verfassungstribunal. Die Klage hatte zwar keine Erfolgsaussichten; Walesa hatte aber die Zeit auf seiner Seite: Das Gericht mußte sein Urteil bis spätestens 31. Dezember 1994 gesprochen haben, denn innerhalb eines laufenden Steuerjahrs dürfen die Steuergesetze nicht mehr geändert werden. Zur Verhandlung am 29. Dezember schickte Walesa kurzerhand keinen Vertreter. Die wurde daraufhin vertagt – und laut Steuergesetz gelten somit auch für 1995 die alten Hebesätze.

Die Regierung hatte allerdings die erhofften Steuermehreinnahmen bereits fest in ihrem Budgetentwurf eingeplant – und der gilt laut Verfassung so lange, wie das Parlament kein ordentliches Budget verabschiedet. Ist es erst soweit, wird Walesa mit Sicherheit dieses ebenfalls blockieren.

Was bezweckt Walesa nun mit seiner Manipulation der polnischen Steuerschraube? Es soll der Regierung nicht gelingen, vor Anfang Februar einen ordentlichen Haushalt durch das Parlament zu bringen. Dann darf Walesa das Parlament auflösen. Das hat er zwar, wie er versichert, nicht wirklich vor. Aber das Nichtauflösen wird er sich von der Regierungskoalition teuer bezahlen lassen.

Für die polnischen Steuerzahler stellt sich unterdessen die Frage, wieviel sie denn tatsächlich ab 1. Januar zahlen sollen. Die Verfassung verlangt, daß Steuern per Gesetz erhoben werden. Demnach gilt der niedrigere Steuersatz, denn nur dieses Gesetz ist am 1. Januar in Kraft. Die Regierung verlangt dagegen, Steuern nach dem Haushaltsgesetz zu zahlen.

Was passiert, wenn die Bürger massenhaft dem Aufruf der Opposition folgen und ihre Steuern selbst – natürlich auf dem niedrigeren Niveau – festlegen? Bestrafen kann man sie wohl kaum, denn gegen das gültige Steuergesetz verstoßen sie ja nicht. Daß nun ein einfacher Bürger auch gegen das Haushaltsgesetz verstoßen kann, ist Neuland für Strafrechtler.

Die Regierung bereitet jetzt eine Verordnung vor, um die Steuererhöhung doch noch dieses Jahr durchzusetzen. Den Versuch, höhere Steuern ohne Parlament einzuführen, hat seinerzeit Franzosenkönig Ludwig XVI. mit der Einberufung der Generalstände und letztendlich mit der Revolution und seinem Kopf bezahlt.

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