: Nachbarschaft der Gegensätze
Lustvolles Verkehrschaos in Kampala, Stöhnen in Nairobi ■ Von Dominic Johnson
Der Radfahrer scheint lebensmüde. Die Nase fast im Auspuff des schweren Lastwagens vor ihm, tritt er furios in die Pedale, um auch bei der enormen Steigung nicht den Anschluß zu verlieren. Plötzlich muß der Lastwagen scharf bremsen, der Radfahrer schleudert Arme und Beine in alle Richtungen und rettet sich irgendwie an den Bordstein. Dann winkt er stolz und erleichtert seinen hinterherhechelnden Freunden zu.
Der Verkehr in Ugandas Hauptstadt Kampala funktioniert nach der Regel der eingebauten Vorfahrt: Der Kleinere gibt nach. Zuerst kommen Laster, dann Geländewagen und Kleinbusse, zum Schluß noch jede Menge Radfahrer – normale Pkws gibt es kaum, denn insbesondere für die Straßen außerhalb der Hauptstadt sind diese völlig ungeeignet. Die Lastwagen keuchen und stinken, die vollgepfropften Busse mit an der offenen Tür hängenden Passagieren hupen sich einen Slalomweg, die Radler geben die Anschein, auch hinten Augen zu haben. Sie fahren alle so, als ob der Verkehr gerade erst erfunden wurde.
Ganz anders sieht es in Kenias Hauptstadt Nairobi aus. Die Straßen sind breiter und verstopfter, bestimmt von einem ausufernden Individualverkehr. Das Verkehrschaos ist vertraut, der Umgang damit ist ebenso zur erprobten Kunst avanciert wie das Lamento der Bewohner über den Zustand der Straßen. Zwar ist dieser besser als in Kampala, aber einst hatte Kenias Hauptstadt ausgesprochen gute Asphaltpisten, und nun verfallen sie mit jedem Regen ein Stück mehr. Es gibt kaum irgendwo ein längeres Straßenstück, in dem nicht tiefe Schlaglöcher klaffen – für eine Möchtegern-Weltstadt, die Dutzende internationale Firmen und Organisationen beherbergt, ein beschämendes Zeichen.
In der jüngsten „kleinen Regenzeit“, die ungewohnt lange dauerte und vor Weihnachten sogar Kenias wichtigste Hauptstraße zwischen Nairobi und Mombasa unpassierbar machte, wateten die Bewohner des Slums Mathare in Nairobi durch tiefen Schlamm. Mathare, wo sich in einer Talsenke um die 200.000 Menschen auf engstem Raum in einem riesigen Wellblechlabyrinth drängen, ist Nairobis Brennpunkt von Verelendung und Protest: Der Slum war ein Zentrum der Demokratiebewegung von 1992, und kürzlich haben die Kleinbusfahrer auf der nach Mathare führenden „Juja Road“ mit Streik gedroht, falls nicht sofortige Verbesserungen unternommen würden. „Wir werden jedes Auto des Stadtrats und den Bürgermeister Kingori selber anzünden, wenn die Straße nicht sofort repariert wird“, erklärten sie Mitte Dezember und heizten damit einen öffentlichen Streit zwischen Bürgermeister John Kingori und Staatschef Daniel Arap Moi über die Ursachen der Infrastrukturkrise an.
Kaum etwas macht die Entwicklungsunterschiede zwischen Kenia und Uganda so deutlich wie der Umstand, daß Nairobi sich eine hochpolitische Verkehrsdebatte leistet, während Kampala gerade erst lustvoll die Überraschungen des Straßenverkehrs wiederentdeckt. Anders als in Kenia befinden sich Ugandas Behörden gegenüber der Bevölkerung noch keineswegs im Erklärungsnotstand. „Wenn Sie bessere Dienstleistungen wollen, zahlen Sie Ihre Steuern pünktlich!“ fordern hier und da Schilder am Straßenrand und auch sonst dominieren pädagogische Hinweise wie: „Es ist verboten, Petroleumprodukte auf die Straße zu gießen“.
Kenia erlebt eine Krise auf nach afrikanischen Maßstäben hohem Niveau; Uganda ist in den letzten Jahrzehnten tief gefallen und rappelt sich erst jetzt wieder hoch. Die Diktatur Idi Amins und der nachfolgende Bürgerkrieg in den späten 70er und frühen 80er Jahren kostete Hunderttausenden von Ugandern das Leben; als der Guerillaführer Yoweri Museveni 1986 die Macht eroberte und Präsident wurde, lag das Pro-Kopf-Einkommen 35 Prozent unter dem Stand bei der Unabhängigkeit 1962. Seither hat Museveni weiten Landesteilen Frieden gebracht und viele der einst von Idi Amin vertriebenen asiatischen Geschäftsleute zurückgeholt. Das internationale Vertrauen ist groß: 1993 bestanden 52 Prozent der Staatseinnahmen aus ausländischen Spenden. „Die Ökonomen sagen, daß die Wirtschaft wächst“, umgeht ein Journalist der Regierungszeitung New Vision elegant die Frage nach dem Aufschwung. „Das Planungsministerium und die Weltbank geben uns erstaunliche Zahlen, die in unserer eigenen Erfahrung keine Entsprechung finden.“ Kein Wunder: Bei einem jährlichen Wirtschaftswachstum von etwa fünf Prozent und einer schnell wachsenden Bevölkerung wird es noch dreißig Jahre dauern, bis der Wohlstand von 1962 wiederhergestellt ist.
Die Bautätigkeit in Kampala ist rege, aber niemand versucht, den Eindruck einer glitzernden Metropole zu erwecken. Sogar in besseren Vierteln gleichen manche Straßen Mondlandschaften mit Kratern und Seen. Hochhäuser gibt es kaum, nur etwas höhere Bürogebäude und einige teure Hotels. Im alten Geschäftsviertel hausen Familien in offenbar zweckdienlich ausgegrabenen Löchern im Bürgersteig, während neben ihnen der Trubel aus winzigen Läden quillt.
Uganda ist der Nachbar Kenias, aber Nairobi ist eine Welt entfernt von Kampala. Kenia galt lange als marktwirtschaftliches Musterland, seine Hauptstadt ist Sitz verschiedener internationaler Organisationen. Zunehmende Mißwirtschaft bewog die internationalen Geldgeber im November 1991, den Kredithahn abzudrehen. Die darauffolgende Krise, in der unter anderem erstmals Oppositionsparteien legalisiert wurden, führte zu massiver Kapitalflucht. Erst in den letzten Monaten, in denen sich Präsident Moi an die Durchführung der von der Weltbank gewünschten Strukturanpassungen macht, fließen wieder Dollar ins Land. So hat Nairobi jetzt nicht nur palastartige Villen in alten Parks, Luxuswohnungen hinter Sicherheitsmauern und stinkende Slums, sondern einen von Spekulation getriebenen unstillbaren Platzhunger, der Aufsteiger auf der Suche nach dem Eigenheim immer weiter aus den Stadtgrenzen treibt. Während Kampala als eine zusammenhängende Stadt auf „sieben Hügeln“ erkennbar ist, besteht Nairobi aus vielen Welten, wo Glanz und Elend zwischen Hochhäusern koexistieren und wo der Verfall der Infrastruktur den Zusammenhalt der Stadt gefährdet.
Der Kontrast könnte größer nicht sein: Nairobi stöhnt unter einer Wirtschaftskrise, birgt aber unfaßbare Reichtümer. Kampala erlebt einen Aufschwung, hat aber kaum Geld. Nairobi hat die Zeiten seines großen Aufschwungs schon hinter sich, Kampala sieht ihm noch entgegen. Auch wenn beide Städte sich einmal ökonomisch angleichen sollten – ähneln werden sie sich nicht.
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