: Wem gehört Cato Bontjes van Beek?
■ Wie eine Kritik an Helmut Schmidt in Achim zur Feier des „Cato-van-Beek“-Gymnasiums für große Aufregung sorgt
Achim, eine Kleinstadt vor den Toren Bremens: Fußgängerzone, gepflegte Eigenheime, bei Kommunalwahlen erreicht die SPD 42, die Grünen 10 Prozent. Seit einigen Wochen wird die Ruhe dieser Wohlstandsinsel von einem Streit gestört, in dessen Zentrum die Fischerhuder Antifaschistin Cato Bontjes van Beek steht: In der neuesten Ausgabe der „Achimer Geschichtshefte“ (Herausgeber: die örtliche Geschichtswerkstatt) wird – über ein Jahr nach der Namensgebung des Cato Bontjes van Beek-Gymnasiums – erstmals öffentlich Kritik an der Art und Weise geübt, mit der unter anderem Festredner Helmut Schmidt die Antifaschistin für seine eigenen politischen Zwecke benutzt habe: „Wem gehört Cato?“
Cato Bontjes van Beek, Tochter der Fischerhuder Künstler Jan und Olga Bontjes van Beek, wurde am 5. August 1943 im Alter von 23 Jahren wegen ihrer Mitarbeit in der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ von den Nazis hingerichtet. Großgeworden mit sozialistischen und humanistischen Idealen hatte Cato bereits ab 1940 auf eigene Faust versucht, Widerstand gegen die Nazis zu leisten: „Ihr redet ja nur – keiner tut etwas dagegen!“ warf sie Freunden vor – und zog die Konsequenz. In der Bundesrepublik wurde ihr Widerstand lange aus den offiziellen Würdigungen ausgeklammert: Im Zeichen des Kalten Krieges wurden Mitglieder der „Roten Kapelle“ wegen des „Verrats“ militärischer Geheimnisse an die Sowjetunion im Westen als Landesverräter diffamiert. Während es Catos Ankläger vor dem Reichskriegsgericht im Taunus zum stellvertretenden CDU-Bürgermeister brachte, mußten ihre Angehörigen fünfzehn Jahre lang prozessieren, bis Cato als verfolgtes Opfer des Nazi-Regimes anerkannt wurde.
Vierzig Jahre nach ihrer Hinrichtung machte das Achimer Gymnasium Cato zu ihrer Namenspatronin (gleichzeitig wurde nach ihr auch ein Platz in Bremen-Kattenturm benannt). Prominenter Festredner der Achimer Namensgebung: Helmut Schmidt, Altbundeskanzler und seit den dreissiger Jahren ein Freund der Familie Bontjes van Beek. In seiner Rede schilderte Schmidt, wie er – damals Offizier der Luftwaffe – Cato 1942 auf einer Feier von Antifaschisten traf, auf der seine Anwesenheit prompt die Frage aufwarf, „ob ein Antinazi Offizier sein dürfe“. Schockiert von der leichtsinnigen, lebensgefährlichen Offenheit, mit der diese Debatte geführt und über das Dritte Reich gespottet wurde, verließ Schmidt die Gesellschaft. Schmidt rückblickend: „Nach jener Fete im Sommer 42 habe ich mich vor mir selber geschämt, daß ich keine abermalige Verbindung zu Cato gesucht habe, um sie wegen ihrer Leichtfertigkeit zu warnen.“ Eine weitere Scham bestimmt Schmidts Verhältnis zu Cato: Die Scham, es ihr nicht gleich getan, sondern als Offizier Hitlers Befehle befolgt zu haben. Schmidt erklärte in seiner Rede vor den Achimer Schülern, er habe noch 1942 nichts von der Judenvernichtung gewußt, die Nazis aber dennoch abgelehnt, weil sie „Deutschland in den Untergang führen“ würden. Damals habe er es für seine Pflicht gehalten, der Obrigkeit zu gehorchen, bekannte er. Heute wisse er, „daß Pflichten miteinander kollidieren können.“ Cato habe im Gegensatz zu ihm die übergeordnete Pflicht zur Menschlichkeit erkannt und genug Tapferkeit besessen, ihr zu folgen. „Aus ihrem Beispiel sollen wir lernen, unsere Vernunft und unser moralisches Gewissen anzustrengen. Dazu ist es zunächst nötig, daß Lehrer und eltern den Jungen und Mädchen dieser Schule in jeder Schülergeneration aufs neue das Beispiel Catos vor Augen führen...“.
Widerstand heute? Versagen der Erziehung
Entscheidung zum Widerstand gegen die Obrigkeit dürfe jedoch „um Gottes Willen keineswegs leichtfertig“ oder ohne Anstrengung der Vernunft gefällt werden, führte Schmidt weiter aus. Und dann sprach er das „Versagen der Erziehung“ heute, das er für nicht legitimen Ungehorsam gegenüber der Obrigkeit und fast alle Form von Widerstand verantwortlich machte: „Ich denke an Brokdorf, an Wackersdorf, an den Frankfurter Flughafen, an die Hamburger Hafenstraße, insbesondere an die widerwärtigen Verbrechen der RAF und der ausländerfeindlichen Skinheads ...“ Schuld daran sei, daß in den Schulen „bloße Wissensvermittlung“ geschehe, Schuld seien Fernseher, der Werteverfall oder auch die „antiautoritäre Erziehung“.
Daß Schmidt ausgerechnet das Andenken an eine Person des antifaschistischen Widerstands zum Anlaß nimmt, um sämtliche Formen des heutigen Widerstands zu diskreditieren und in einen Topf mit rechten Mordbrennern und Faschisten zu werfen, sorgte schon während der Namensgebungsfeier für Kopfschütteln. Die öffentliche Diskussion über Schmidts Rede indes kommt erst jetzt, mit ihrer Veröffentlichung und Kritik in den „Achimer Geschichtsheften“, in Gang.
Vor allem die Kritik des Bremer Erziehungswissenschaftlers Freerk Huisken ließ die Wogen der Empörung in den Leserbriefspalten der Achimer Lokalpresse hoch schlagen. In seiner „Warnung vor Vorbildern und ihren Verkündern“ wirft der Hochschullehrer dem Altbundeskanzler vor, er schere sich gar nicht für die Gründe, die die humanistisch, sozialistisch und (im Gegensatz zum Patrioten Schmidt) internationalistisch geprägte Cato zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus bewegten: „Nicht an historischer Wahrheit ist er interessiert, sondern daran, der deutschen Jugend ein zeitgemäßes Vorbild zu liefern.“ „Alles, was sich jenseits von parlamentarisch veranstalteter Demokratie, was sich außerhalb des Spektrums der herrschenden politischen Eliten regt, das fällt bei ihm unter die Rubrik Ausschaltung der kritisch abwägenden Vernunft (...). Zufrieden ist der Festredner Schmidt mit der heutigen Jugend also erst dann, wenn die das heutige Deutschland als Wert begreift, für das sich Opfer lohnen. Fast wie zu Adolfs Zeiten!“
Leserbriefe und Kommentare in der Achimer Lokalpresse zeigten sich schockiert von der Unverfrorenheit, mit der in den Geschichtsheften der beliebteste Ex-Kanzler der Republik angegriffen wird. Die Berliner Historikerin Regina Griebel warf Huisken in einem Leserbrief vor, er halte Schmidt in der Tradition der „Sozialfaschismus“-These offensichtlich für gefährlicher als die Nazis selbst.
Ein Ziel zumindest hat die Geschichtswerkstatt erreicht: Die politische Diskussion um das Erbe von Cato Bontjes van Beek ist entfacht. Christian Just
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