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Warten auf die Entschädigung

■ Die SED-Opfer fühlen sich als die stillen Verlierer der Einheit / Immer weniger Anträge auf Entschädigung

Die tägliche Post sagt viel über die Gefühle der Opfer. „Ich leide immer noch unter dem Stasi-Terror, den ich zehn Jahre ertragen mußte. Ich leide, leide und leide...“, schreibt eine Rentnerin. Ein anderer Mann, der in der DDR aus politischen Gründen verfolgt wurde, spricht von dem „Gefühl einer weiteren Demütigung“, das er nach der Wende erfahren mußte. Briefe wie diese erhält die Häftlingshilfe-Organisation HELP in Berlin täglich. „Unter den Opfern herrscht Verbitterung und großer Frust“, sagt der Vorsitzende des Vereins, Alexander Hussock, der selbst zwei Jahre lang in der DDR im Gefängnis saß.

Die Spitzel, die Verräter von einst – sie müssen nach der Rechtsprechung kaum mit Strafverfolgung rechnen. Im April vergangenen Jahres entschied der Bundesgerichtshof (BGH), daß Denunzianten, die andere ins Gefängnis gebracht haben, nur im Ausnahmefall zur Rechenschaft gezogen werden können. Allein die Inhaftierung des damals Angezeigten reiche nicht. Ähnliche Hürden errichtete der BGH auch im Hinblick auf die Schadenersatzpflicht für Denunzianten von DDR-Republikflüchtigen. Die Richter erinnerten daran, daß für die DDR-Bürger eine Verpflichtung zur Anzeige bestanden habe, wenn etwa Angehörige die Flucht in den Westen planten. Die DDR-Bürger hätten auf den „Bestand ihrer Rechtsordnung vertrauen“ dürfen.

Geldersatz für ihre Leiden können die Opfer so in erster Linie nur über eine Rehabilitierung bekommen. Auch da sind die Summen allerdings nicht allzu großzügig bemessen. 450 Mark pro erlittenen Haftmonat zahlt der Staat den Opfern. Hinzu kommen nach Auskunft des Bundesjustizministeriums Zusatzleistungen bis zu 8.000 Mark im Jahr. Nur: Die einst Verfolgten müssen oft jahrelang auf die Auszahlung der Gelder warten, auch wenn sie durch die bundesdeutschen Gerichte längst als politisch Verfolgte anerkannt sind. Es werden zunächst die bevorzugt, die über 70 Jahre alt oder schwerbehindert sind beziehungsweise länger als drei Jahre in Haft saßen. Folge: Ein heute 30jähriger, der in den Achtzigern zwei Jahre in Haft saß, ist noch lange nicht dran, es sei denn, er weist eine soziale Härte nach. Allein in Berlin warten nach Auskunft des Landesamtes für soziale Fragen von 10.000 Rehabilitierten noch rund 6.500 auf die Zahlung ihrer Gelder. „Es ist keine Frage, daß dies unbefriedigend ist“, sagt auch der zuständige Abteilungsleiter Wolf-Rüdiger Westphal. Die Opfer sind inzwischen offenbar so frustriert, daß sie selbst kaum noch Anträge auf eine Aufstockung der Rente nach dem jetzt in Kraft getretenen zweiten SED- Unrechtsbereinigungsgesetz stellen. Ulrich Scharlack/dpa

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