piwik no script img

Zirkus, ruft der Lenz

Vor dem DEL-Beirats-Treffen schreien Berliner Eisbären und Füchse Sachsen prophylaktisch auf  ■ Von Peter Unfried

Berlin (taz) – Gibt es eigentlich Leute, die verstehen, was in der Deutschen Eishockey Liga genau abläuft? Wir, die wir von draußen staunend hineinschauen, sowieso nicht. Aber sicher doch die drinnen, die Sachverständigen, die Beteiligten? „Ich“, teilt nun Jiri Kochta mit, als Trainer der Füchse Sachsen unmittelbar mitmischend, „verstehe manche Dinge nicht in der DEL.“ Nur, was im Endeffekt rauskommen wird, das kann der Mann deutlich erkennen: „Eine Katastrophe. Unser Eishockey geht langsam zugrunde.“ Was ihm nicht einleuchten mag: Daß jede Menge Beteiligter mut- und bereitwillig zur Beschleunigung des Vorgangs beigetragen haben und weiter gerne beitragen.

Der nächste Akt im grausligfröhlichen Treiben ist nah, kommenden Montag will sich Maddogs München schlimmsten- und auch bestenfalls mit einem Juniorenteam in die Liga zurückverhandeln, schon drei Tage später treffen sich die Vertreter der Franchise-Nehmer, vulgo DEL-Beirat, in Berlin, um möglicherweise noch brisanteres auszuprobieren: Die Kündigung für den Alleingesellschafter der DEL-GmbH, den guten alten Deutschen Eishockey- Bund (DEB).

Aber das ist fast eine andere Geschichte und nicht das, was einen in Weißwasser schert. Dort sorgt man sich vielmehr wegen eines Satzes des Landshuters Max Fedra. Der hat gesagt: „Was wir brauchen, ist eine starke Liga mit zehn Vereinen.“ Da steht der EVL-Präsident nicht allein, in Düsseldorf, Krefeld, bei den Berliner Preussen denkt man ähnlich, und in der Lausitz kann man sich ausrechnen, wen man demzufolge nicht brauchen kann. In Berlin-Hohenschönhausen hat Lorenz Funk auch schon gemerkt, „daß da Strömungen da sind“. Auch die jüngst stellenbeschreibungsmäßig vom Manager zum technischen Direktor umplazierte Führungskraft der Eisbären fürchtet, daß die Großen künftig ohne die Kleinen auskommen können möchten. Argumentiert wird mit der Liga Niveau. Wer am Dienstag das 4:2 des Tabellenletzten Eisbären über den Fünfzehnten Füchse Sachsen gesehen hat, darf sagen: Das Liga-Niveau wird tatsächlich weit unten definiert. Das Schöne aber: Die Zuschauer stört das wenig, die zahlreichen Eisbären-Freunde feierten den mühevoll zusammengeschlitterten ersten Sieg seit mehr als einem Monat mit enthusiastischen Aufforderungen zur „Ehrenrunde“.

Wobei in diesem speziellen Fall nicht einmal mit dem Flair des ostdeutschen Dauerklassikers argumentiert zu werden braucht. „Die Spannung“, findet Eisbären-TrainerJoachim Ziesche, „bezog sich daraus, daß es nicht mehr Mannschaften gab“. Und nu? Gibt's andere, bessere, doch was soll's? Man spielt, einer gewinnt, und wenn Füchse-Trainer Kochta findet, daß „wir bei allen vier Gegentoren mitgeholfen haben“, beobachtet Ziesche fachlich völlig richtig, „kann ich auch sagen: Wir haben bei seinen Toren mitgeholfen“. Hat man, prächtig sogar. Was einst zu polarisieren hatte, kost sich nun und kuschelt sich in der Gefahr ganz eng zusammen. Und pflegt, weil nichts anderes zur Hand ist, das Verliererimage vom kleinen Ostverein, hilflos den Machenschaften der großen Westler ausgeliefert. Ohne Geld setzt man in Weißwasser und Berlin auf den traditionell gehegten Nachwuchs, während anderswo „Strömungen da sind, daß man den dritten Ausländer will“(Funk). Der soll, heißt es, vielleicht schon in Berlin ausgehandelt werden. Da müssen, schwant dem Lorenz Funk, „gerade die kleinen Vereine aufpassen, daß es nicht so weit kommt“. Hilfe! Ruft der Lenz, Hilfe: „Wenn das so weitergeht, spielen nur noch Ausländer, und dann haben wir eine Zirkusliga.“ Und der kümmerliche Nachwuchs, dereinst die DEB-Auswahl, internationales Werbemittel des Produktes Eishockey, geht vollends verloren.

Auch in Weißwasser kann man sich teure Gastarbeiter nicht leisten, und darum bezieht Jiri Kochta auch die Kurzauftritte diverser NHL-Spieler in seine Rundumkritik ein, die man reichlich wahl- und perspektivlos hier und dort mal mittun läßt. Für das Spiel in Berlin ließ Kochta im übrigen aus Prag den NHL-Verteidiger Frantisek Musil (Calgary Flames) einfahren.

Immerhin: Schaffen bekanntlich nur 16 von 17 die Play-Offs, und vielleicht geht ja doch kein weiterer Verein mehr rechtzeitig vor die Hunde. Das Grundproblem der DEL: „Wenn man auch schon nach ein paar Wochen sagt, daß alles Scheiße ist...“, ist das nicht klug, sagt Jiri Kochta: „Da muß man zwei, drei Jahre abwarten können.“ Aber, ach: Wer könnte allein vorhersagen, was am Montag wieder passiert sein wird?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen