: „Ich bin nicht weinend rausgerannt“
■ Die „Aktionsgemeinschaft Stimmen für Stahmer“ lobte gestern ihre Spitzenkandidatin
Ach, wieviel deutsche Dichtkunst kann ein schnöder Wahlkampf der Partei der Sozialdemokraten entlocken. „Statt stumm starren – Stimmen für Stahmer“ lautet der zentrale Slogan der SPD-Aktionsgemeinschaft, die die Sozialsenatorin in ihrem Vorhaben unterstützt, die nächste Regierende Bürgermeisterin zu werden. Männlich, knallig und sportlich hingegen die Parole der Momper- Fans: „WM 95“. Unter diesem Slogan haben die Vorarbeiter Walter Mompers dessen Wahlkampagne durchgeplant – mit professionellen Werbemethoden, als gelte es, ein Herrenparfum zu verkaufen und nicht einen an seiner Selbstherrlichkeit gescheiterten Ex-Bürgermeister. Mit vielerlei Auftritten und Künstlerempfängen wird WM also seine restlichen Tage bis zum 5. Februar verbringen, um an jenem Tag der innerparteilichen Urabstimmung über den Spitzenkandidaten wahrscheinlich seine Niederlage zu erleben.
Denn es sieht beinahe danach aus, daß diesmal das weibliche Prinzip über das männliche siegt, die Sozialfrau über den Machtmann. Und sei es nur, weil König Momper weiland so manchen Parteiarbeiter abkanzelte, der nun von einer Bürgermeisterin Stahmer einen neuen Posten erhofft. Sie erfahre Unterstützung von rechts und links, Ost und West, Frauen und Männern, Funktionären und einfachen Parteimitgliedern, freute sich gestern die Kandidatin bei der ersten Pressekonferenz der der rund 200 UnterstützerInnen umfassenden „Aktionsgemeinschaft Stimmen für Stahmer“.
Sowohl in der Partei als auch in der Stadt scheint das Bedürfnis nach einem anderen Politikstil groß zu sein. Schon vor den Wahlen am 22. Oktober wolle sie dafür sorgen, versprach Stahmer denn auch, daß die Menschen mehr in das politische Geschehen einbezogen würden. Unter dem Motto „Stadt im Dialog“ sei eine Diskussionsreihe mit den BürgerInnen geplant. Zuhören können, kooperieren, Fähigkeiten zusammenführen – diesen „weiblichen Führungsstil“ wolle sie auch weiter pflegen, wenn sie Regierende Bürgermeisterin sei.
So viel Nettigkeit verbietet denn aber auch, daß frau gegenüber ihrem Konkurrenten biestig wird. Freundschaft, nichts als Freundschaft: „Wir haben uns zugesichert, daß der Verlierer den anderen unterstützen wird.“ Und, gefragt nach früheren Krisensitzungen des Regierenden Bürgermeisters mit seinen Senatorinnen: „Ich war nicht diejenige, die weinend herausgerannt ist.“ Nur eine einzige kleine Schärfe erlaubt sie sich, und auch das ausdrücklich ohne Namensnennung: „Führungsfähigkeit darf nicht verwechselt werden mit Kraftmeierei. Wenn man auf den Tisch haut, muß man sich vorher überlegen, ob der zusammenbricht.“
Walter, der Machtmeier, Ingrid, die Kooperationstüchtige. Walter, der Arrogante, Ingrid, die Bescheidene. Nein, so einfach ist die Wirklichkeit nun doch nicht. Eins hat Ingrid Stahmer wirklich gänzlich abgelegt: die sogenannte weibliche Bescheidenheit. Ist es nun ein begrüßenswerter Fortschritt auf dem Weg zur vollständigen Emanzipation des Weibes, ein notwendiges Ritual in einer Männerpartei oder eine peinliche narzißtische Entgleisung, wenn sie sich ein ums andere Mal alle möglichen Führungsqualitäten bescheinigt?
Auch die von ihrer „Aktionsgemeinschaft“ erstellte Broschüre „Stimmen für Stahmer“, die tonnenweise Selbstlob enthält, verteilt die Kandidatin eigenhändig. „Streitbarkeit und Einigungsfähigkeit, Beharrlichkeit, Gradlinigkeit, Kompetenz und Durchsetzungsvermögen“ bescheinigt sie sich darin in einem handschriftlichen Briefchen an die SPD-Mitglieder. Was wunder, wenn frau schon im Gymnasium „langjährige Klassensprecherin und Präsidentin der Schülermitverwaltung“ war, wie in einer angefügten Kurzbiographie zu erfahren ist. „Sich selber so auf die Schulter klopfen, also das könnte ich nie“, schüttelt im Weggehen ein Pressefotograf seinen Kopf. Ute Scheub
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