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Sana'a gehört den Sana'anis

Nach dem Bürgerkrieg zwischen Nord- und Südjemen bleiben die Touristen aus, die zur Entwicklung des vereinten Jemens eingeplant waren. Eine Reise ins südjemenitische Hadramaut  ■ Von Julietta Baums

Hassan, Freund und Begleiter in den nächsten Wochen, hatte zwar beteuert, im Lande sei alles ruhig, alles genau wie vor dem Krieg – nur, wer glaubt das schon? Die konservativeren Gruppierungen unter der Führung des alten und neuen Präsidenten Saleh hatten nach einem dreimonatigen militärischen Schlagabtausch einen klaren Sieg über die Sezessionisten der sozialistischen Partei aus dem ehemaligen Südjemen errungen. Bei der anschließenden Plünderung Adens war die einzige Brauerei des Landes zerstört worden – für viele europäische Beobachter ein Indiz für die Radikalisierung der islamischen Gesellschaftsordnung im Jemen. Bilder aus dem Iran oder Saudi-Arabien werden heraufbeschworen: die (zahlenmäßige) „Zunahme verschleierter Frauen“ und die „Wiedereinführung der Geschlechterteilung in Schulen und Büros“ sind laut deutschen Medien „augenfällige Folgen“ der jüngsten Entwicklungen.

Der Prophet Mohammed muß seinerzeit an Sana'a gedacht haben, als er sprach: „Der Ruf der Muezzins soll sein wie der hundertfache Schrei des Esels.“ Unweigerlich weckt der Gebetsruf die Sana'anis noch vor dem ersten Morgenlicht. Fast eine Stunde lang wechseln sich die Muezzins der über hundert Moscheen bei ihren Rufen ab. Immer wieder steigern sich ihre Stimmen zum ohrenbetäubenden Stakkato, verstummen für Augenblicke und heben wieder an.

Nach dem gemeinsamen Frühgebet in der Moschee treffen sich die Männer in einer der kleinen Kaffeebuden, bevor sie zu ihren Läden eilen. Der Souk al-Milh, der große Markt der Altstadt, füllt sich mit Leben. Tücher aus Sackleinen und große blaue Plastikplanen werden von den Auslagen gezogen, schwere Holzläden geben den Blick auf die Schätze im Inneren der oft winzigen Läden frei.

Nur im Souk al-Fiddah, dem Silbermarkt, bleiben die Läden geschlossen. „Es gibt keine Touristen mehr“, berichtet einer der wenigen Händler, die sich überhaupt blicken lassen. Sana'a, die Stadt aus Tausendundeiner Nacht, die Perle Arabiens, gehört den Sana'anis.

Während der Kriegsmonate waren viele der zugezogenen Jemeniten, die Sana'a erst im letzten Jahrzehnt zu einer Millionenstadt hatten anwachsen lassen, zurück in ihre Dörfer geflohen. Zunächst aus Angst vor Luftangriffen, später, weil die Versorgung der Stadt nicht mehr gesichert schien und die Preise für Lebensmittel ins Unermeßliche gestiegen waren. Inzwischen hat sich die Lage normalisiert, und auch die Europäer, die das Land im Mai auf Weisung ihrer Regierungen verlassen mußten, sind zurückgekehrt.

Bei einer Fahrt durch die Vorstädte finden sich vereinzelte Spuren des im Juli zu Ende gegangenen Krieges: Zersprungene Fenster in der Nähe eines Bombenkraters erinnern an den Tod zweier Familien. Für die Fahrt ins Hadramaut und in alle anderen Landesteile benötigt man neuerdings ein „Permit“, das Auskunft über Reiseroute und Zahl der Mitreisenden gibt. Marib, das ist nicht nur die berühmte antike Hauptstadt des sabäischen Reiches. In Marib beginnt der „Wilde Osten“. Es ist Treffpunkt und Handelszentrum für die Beduinen (eigentlich „Bedu“) der umliegenden Stämme und gleichzeitig Versorgungspunkt für die Ölförderanlagen, die weit draußen in der Wüste liegen. Auf den in Erwartung des Ölbooms breit angelegten staubigen Straßen dröhnen die Tanklaster. Toyota-Pickups mit breiten profillosen Reifen, ideal für die Fahrt durch die Sanddünenfelder und zumeist ohne Nummernschilder, werden von verwegen dreinblickenden Gestalten gelenkt. Jeder einigermaßen erwachsene Mann trägt hier eine Kalaschnikow.

Noch im Frühjahr verweigerten die meisten Agenturen in Sana'a die Fahrt nach Marib oder al- Djauf. Sie hatten Angst vor den dort lebenden Bedu, die mit schöner Regelmäßigkeit nicht nur die Geländewagen der verhaßten Ölgesellschaften kidnappten, sondern auch schon mal einen mit Touristen besetzten Toyota beschlagnahmten. Unter den Fahrern galt es als offenes Geheimnis, daß die Saudis für jeden gekidnappten Wagen ein Vielfaches seines Marktwertes zahlten.

Spätestens seit der Entdeckung großer und qualitativ guter Ölvorkommen in dieser Region hat sich der seit langem schwelende Streit zwischen dem Jemen und Saudi- Arabien um den noch ungeklärten Grenzverlauf verschärft. Daraus resultiert auch das Interesse der Saudis an einer Destabilisierung der Region. Letzter „Höhepunkt“ in diesem Konflikt war die politische und offensichtlich auch militärische Unterstützung der Sezessionisten im Süden durch die Saudis.

Kurz hinter der letzten Militärkontrolle auf der nach Osten zu den Ölfeldern führenden Asphaltstraße zweigen rechts und links zahllose Wagenspuren in die endlose Weite der Sanddünen ab. Hier treffen wir Mochsin. Er gehört dem mächtigsten Stamm in diesem Wüstenabschnitt an. Er ist Besitzer einer Kamelherde, als Reiseführer verdient er Geld dazu. Die ersten Berge zeichnen sich ab. Obwohl die Wagen zeitweise mit 100 Stundenkilometern über die weiten Ebenen flitzen, rücken die windzerfressenen Steinmassive nur allmählich näher. Irgendwo dort hinten liegt das Wadi Hadramaut.

Dann die Anweisung von Mochsin, in seiner Fahrspur zu bleiben. Hier haben die Südarmeen während des Krieges Panzerminen gelegt, um die Flanken der Militärverbände beim geplanten Vormarsch auf den Bergjemen zu schützen. Eine Stunde später gibt Mochsin Entwarnung – das Minenfeld ist durchquert, und die Fahrer machen sich daran, inmitten der sanft geschwungenen Dünen einen geeigneten Lagerplatz zu finden.

„Es gibt keine Bedu mehr in diesem Teil der Wüste“, erzählt Mochsin, der diesen Abschnitt seit dem Krieg schon mehrfach durchfahren hat: „Alle Familien sind schon zu Beginn der Auseinandersetzungen mit ihren Kamelherden in den hohen Norden des Landes, ins Nadjran, gezogen.“ Und wie in der Gegend um Aden wird es auch hier noch lange dauern, bis die Minen geräumt sind, bis die Bedu zurückkehren werden.

„Ein Wunder von Reiz und Farbigkeit“, so beschrieb van der Meulen, ein früher Reisender, das Wadi Hadramaut. Doch dieser Reiz erschließt sich dem Reisenden erst nach und nach. Die kieselgepflasterte Straße, immerhin die Hauptverkehrsader des Wadi, ist notdürftig von einer dünnen Schicht Asphalt überdeckt, eine Aneinanderreihung von Schlaglöchern in Badewannengröße. Stoßdämpfer und Bandscheiben werden gleichermaßen attackiert; dazu kommt noch der Gegenverkehr, der gleich uns in wilden Slaloms bemüht ist, den Löchern auszuweichen. Je weiter man nach Osten ins Wadi vordringt, desto öfter schieben sich Alfalfa- und Hirsefelder zwischen die öden, sandigen Flächen. Dichte Reihen von Dattelpalmen überschatten Bewässerungskanäle, die das von Pumpen geförderte Grundwasser über die Talfläche verteilen.

Die Lebensumstände der Hadramis, die früher von Feudalherrschern ausgebeutet, später dann von den Produktionsgenossenschaften mit Einheitspreisen für ihre Bodenerträge entlohnt worden waren, hatten sich nach der Vereinigung von Nord- und Südjemen 1990 deutlich verschlechtert: Die Lebenshaltungskosten kletterten in schwindelnde Höhen, die Arbeitslosigkeit stieg im selben Maße, wie die Löhne sanken, und die von der Regierung in Sana'a versprochenen Hilfen versickerten in irgendwelchen dunklen Kanälen. Dringend notwendige Maßnahmen wie die Instandsetzung der Straßen und die Rückgabe der landwirtschaftlichen Flächen an die Bauern wurden verschleppt.

Durch den Bürgerkrieg hat sich auch hier die Situation nochmals verschärft. Doch auf den Feldern herrscht eine rege Betriebsamkeit. Zahllose neue Flächen werden im sandigen Untergrund planiert und durch Kanalsysteme erschlossen. Wir treffen einen Hadrami, der mit seinen beiden Söhnen wartend am Hang eines Kanals sitzt. Nur dann und wann springt einer von ihnen auf, um das träge fließende Wasser auf ein noch trockenes Feld zu leiten. „Ein bis zwei solcher Überflutungen reichen aus, um eine Ernte einzubringen“, erklärt der Bauer. Stolz weist er mit weit ausholender Geste über seine Äcker. Auf unsere erstaunte Frage bestätigt er, daß die Bauern hier ihr Land zurückerhalten hätten und die Erträge nun wieder auf dem freien Markt verkaufen dürften.

Die erst vor wenigen Wochen durchgeführte Landreform hat nicht nur zur Urbarmachung zahlloser seit Jahren brachliegender Flächen geführt, sie scheint Präsident Saleh auch im Hadramaut eine gewiße Unterstützung seiner Politik in der Bevölkerung zu sichern. Eine erneute Trennung vom Norden wollen die meisten Südjemeniten ohnehin nicht.

Gänzlich ungetrübt ist das Verhältnis von Nord- und Südjemeniten nicht. In al-Adjlania , der westlichsten „Stadt“ des Hadramaut, werden wir Zeugen einer Auseinandersetzung. Zwei Reifen müssen geflickt werden – aber es ist Freitag. Nur ein Werkstattbesitzer hat überhaupt die blauen Metalltüren seiner Werkstatt geöffnet. Er sitzt im Schatten vor seinem Laden und kaut genüßlich das hier sehr teure Qat. Wie die meisten Jemeniten kann er sich nur an Feiertagen ein Bündel dieser grünbelaubten Zweige leisten, deren frische Triebe gekaut werden und eine berauschende Wirkung haben. Er lehnt es rundweg ab, am heutigen Feiertag einen Handschlag zu tun. Hassan wird wütend: „Willst du uns ernsthaft mit kaputten Reifen in die Wüste schicken?“ Es kommt zu einem in beträchtlicher Lautstärke geführten verbalen Schlagabtausch. Schließlich macht sich Hassan selbst ans Werk. Die Reifen sind innerhalb kurzer Zeit repariert. Vollen Ernstes verlangt der Werkstattbesitzer den Preis für die Reparatur. Erneut beginnt ein lautstarkes Hin und Her. Hassan obsiegte und regt sich noch stundenlang über „these lazy communists“ auf.

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