: Der gute Mensch von Platjenwerbe
■ Was ist falsch daran, wenn man einen NSDAP-Ortsgruppenleiter in einem Buch zum 50. Jahrestag des Kriegsendes in Vegesack unkommentiert zu Wort kommen läßt?
Frau Zschernitz ist 73 Jahre alt und hat ihren Mann anderthalb Jahre lang vernachlässigt. Weil sich am 4. Mai zum 50. Mal der Tag des Kriegsendes in Vegesack jährt, hatte sich die Vegesackerin vorgenommen, Zeugnisse alter Einheimischer für ein Buch zu sammeln. Pünktlich liegt „Kriegsende 1945 - Vegesack und umzu“ jetzt vor. Und plötzlich gibt es Menschen, die Haare in der Suppe gefunden haben. Sie rufen bei ihr und in der Zeitung an. Das empört Frau Zschernitz. Was soll falsch daran sein, einen Erlebnisbericht des NSDAP-Ortsgruppenleiters von Platjenwerbe, Ihlpohl und Stendorf, Hermann Koch, unkommentiert abzudrucken? Erstens ist es eine Quelle. Zweitens ist es ein interessanter Text zum Thema „Kollektivschuld“. Und drittens war Hermann Koch doch ein guter Mensch.
Hermann Koch (Jg.1896) war Lehrer im kleinen Örtchen Hinnebeck bei Schwanewede. 1937 wurde er Schulleiter in Platjenwerbe (und NSDAP-Mitglied). Die Kinder liebten seinen Musikunterricht, überall gern gelesen waren seine plattdeutschen Geschichten. Als Hermann Koch seinerzeit erfuhr, daß in Platjenwerbe ein Jude ermordet worden war, war er „geknickt“. Das erfuhr Frau Zschernitz von Frau Hering, Kochs Tochter. Die beiden alten Damen sind Klassenkameradinnen; über Frau Hering kam auch der Text ihres verstorbenen Vaters ins Buch.
Hermann Koch schreibt in seinem Lebensbericht Sätze wie diese: Das alles (die Aufnahme von 400 Bremer Ausgebombten / d. Red.) brachte für die Partei und ihre Gliederungen viel, viel Arbeit. Mit welchem Idealismus diese geleistet wurde, kann nur der beurteilen, der mit dabei war, und das alles ohne einen Pfennig Entgeld. Sein Bericht ist von den Herausgebern überschrieben worden mit Drei Jahre Internierungslager als „Kriegsverbrecher“. 1967 hat Herr Koch den Text geschrieben; 22 Jahre nach Kriegsende legte der Kriegsverbrecher in Gänsefüßchen ohne jeden Selbstzweifel seine Sicht der Dinge schriftlich nieder – sein Protest gegen die vom „Feind“ auferlegte Kollektivschuld.
Koch, als Ortsgruppenleiter von den Amerikanern inhaftiert, sieht Schuld nur bei einem Promill der Bevölkerung. Es sei doch kein Verbrechen, wenn man die einem vom Herrgott verliehenen Kräfte für das Wohl seiner Mitmenschen eingesetzt hat. Seine Sprache hat sich in 22 Jahren nicht verändert: In der Schule war zum Schutz der Bevölkerung vor Ausschreitungen ausländischer Arbeitskräfte, besonders Polen, ein Ordnungsdienst eingerichtet worden. Die bisher in landwirtschaftlichen Betrieben beschäftigten Ausländer konnten drei Tage lang ihr Unwesen treiben, ohne (...) zur Rechenschaft gezogen zu werden. Eine eigenartige Analogie findet sich in einer Tagebuchnotiz vom 2. Mai 1945, die Frau Zschernitz selbst beigesteuert hat: Nun will ich mal erzählen, was ich die letzte Zeit getrieben habe: Ich habe geplündert. Es folgt eine Auflistung aller Holzvorräte, Scheuerpulver, Klosettpapierrollen, Briketts u.a., die sie aus aufgebrochenen Kasernen und Magazinen hat mitgehen lassen – wie alle anderen Deutschen auch.
Das Buch ist vom Heimatmuseum Schloß Schönebeck herausgegeben worden, wo Lotte Zschernitz, pensionierte Lehrerin, seit 20 Jahren im Archiv arbeitet. Ihre Familie stammt aus Vegesack. In der Hitlerzeit war sie Jungmädelführerin und hat für die Nationalsozialistische Volksfürsorge gesammelt. 1942 wurde das damalige Fräulein Kruse Lehrerin. Als der Krieg zu Ende war, durfte sie ein Jahr lang nicht arbeiten.
Als sie 1992 anfing, nach Material zum Kriegsende zu suchen, stellte sie zu ihrer Überraschung fest, daß sich im sonst gut bestückten Schönebecker Archiv nichts über die Zeit um 1945 fand. Sie setzte mehrfach Suchannoncen in die Zeitung. 36 Texte kamen schließlich zusammen; bis auf einen wurden alle veröffentlicht. Mit Johann Heinrich Döll fand man einen (Bremensien-)Verleger, der ohnehin dem Museum verbunden ist, mit Ortsamtsleiter Reiner Kammeyer einen prominenten Geleitwortschreiber. An den unkommentierten Zeilen des standhaften NS-Mannes Koch stieß sich niemand.
Horst Gnettner ist der langjährige Leiter des Museums Schönebeck. Für ihn ist stellt das Buch ein „Kaleidoskop des Kriegsendes“ dar; den Koch-Text hält er ebenso wie Frau Zschernitz für unverzichtbar. Weil es gerade heute, bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte, wieder um Kollektivschuld gehe („Denken Sie an Stolpe! Mußte man von Auschwitz wissen?“)
Es würde für die Herausgeber Gnettner und Zschernitz heißen, sich von ihren AutorInnen zu distanzieren, würden sie diese etwa in einem Vorwort kommentieren. Sie müßten sich von sich selbst distanzieren. Die Zeitzeugen nämlich sprechen eine Sprache und denken Gedanken, die die Amateurhistoriker so gut kennen, weil es ihre eigenen waren oder sind. Insofern ist „Kriegsende 1945 - Vegesack und umzu“ selbstverständlich eine interssante Sammlung zahlreicher Quellen. Aber vergiftet sind sie. Burkhard Straßmann
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