: Ein eigenes Telefon ist bereits Luxus
Staatsanwälte klagen über enorme Arbeitsüberlastung, völlig unzureichende Arbeitsbedingungen, veraltete Technik und fehlende Büros / Justizsenatorin kündigt Neuorganisation an ■ Von Barbara Bollwahn
Das Panzerglas wurde schon vor ihrem Einzug entfernt. So muß Gisela Mohn* bloß hinter Gittern sitzen. Der zellen- und schlauchartige Raum mit der schweren Eisentür und dem dunkelbraunen Boden bräuchte dringend einen neuen Anstrich. Das unentschlossene Flackern der Neonlampe macht die junge Frau nervös.
Gisela Mohn ist keine verurteilte Straftäterin, sie ist Staatsanwältin am Landgericht und für Branddelikte zuständig. Nachdem sie über zwei Jahre lang in einem Doppelzimmer gearbeitet hat, ist ihr Einzelzimmer geradezu ein Luxus angesichts der angespannten Raumsituation in dem 1906 erbauten Gerichtsgebäude in der Turmstraße. Auch die Ausstattung mit einem Telefon mit Wahlwiederholung unterscheidet sie von vielen ihrer Kollegen. Die müssen sich oftmals zu zweit ein Telefon teilen und dabei noch die Finger in der Wählscheibe verrenken.
Seit der Wiedervereinigung wurden in Berlin 224 Staatsanwälte neu eingestellt. Doch Personalmangel herrscht trotzdem. Spürbar fehlen auch jene erfahrenen Abteilungsleiter und Dezernenten, die man an die Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der DDR-Regierungskriminalität abgab. Die durch die Auflösung der Strafverfolgungsbehörden in Ostberlin rapide angestiegene Arbeitsbelastung bekommen die Dezernate deshalb deutlich zu spüren, zumal die räumliche und technische Ausstattung auf dem alten Stand geblieben ist.
Bereits im Oktober letzten Jahres schrieb eine Projektgruppe junger Staatsanwälte der Staatsanwaltschaft I am Landgericht an die Justizsenatorin Lore-Maria Peschel-Gutzeit (SPD), um ihrem Unmut Luft zu machen. Die jungen Staatsanwälte beklagen in dem Papier unter anderem die verfrühte Zuweisung von zu vielen, zu umfangreichen oder zu komplizierten Verfahren, mangelnde Anleitung von neueingestellten Dezernenten, fehlende Transparenz bei Personalentscheidungen, frustrierte Vorgesetzte, die kaum Arbeitserfolge erwarteten oder versuchten, diese durch Ausübung von Druck zu erreichen.
Viele Dezernenten fühlen sich in kritischen Situationen allein gelassen, eine konstruktive Auseinandersetzung bei Fehlern finde nicht statt. Weiterhin beklagten die etwa siebzig Staatsanwälte, die das Papier unterschrieben, das Fehlen moderner Telefone, Personalcomputer und zeitgemäßer Software.
Dietrich Hoelzner, der bis Ende Dezember leitender Oberstaatsanwalt am Landgericht war und jetzt als Staatsanwalt am Kammergericht arbeitet, versteht die Forderungen der jungen Kollegen. Sie hätten „viele offene Türen eingerannt“. Normalerweise betrage der Anteil von Assessoren zehn Prozent, derzeit machten sie aber über sechzig Prozent aus. Bei ständig steigenden Eingängen sei ein Defizit vorprogrammiert, so der ehemalige Behördenleiter.
Das „uralte Problem der Berufsanfänger“ werde durch den „explosionsartigen Anstieg“ der Zahl von jungen Staatsanwälten seit der Wiedervereinigung verstärkt. Im Vergleich zu den „normalen Zeiten“, in denen eine Einarbeitungszeit von sechs Monaten gewährleistet war, habe es in den letzten Jahren auch Defizite auf diesem Gebiet gegeben. So mußten sich Berufsanfänger ohne „Schonzeit“ zum Teil in schwierige Wirtschaftsbereiche einarbeiten. Derzeit müssen wegen des Personalmangels Verfahren im Wirtschaftsstrafrecht gelegentlich auch noch auf die Warteliste gesetzt werden, so Hoelzner weiter.
Auch die Justizsenatorin bestreitet nicht, daß es „aufgrund der historischen Belastungssituation der Strafverfolgungsbehörden zu einer Reihe von Defiziten gekommen ist“. Als Reaktion auf das Schreiben der jungen Staatsanwälte bieten seit Ende letzten Jahres drei erfahrene Staatsanwälte ein halbes Jahr lang einmal pro Woche 90minütige Kurse für Dezernenten an. Im Frühjahr sollen Schulungen für Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft I folgen.
Derzeit erarbeitet Peschel-Gutzeit gemeinsam mit dem Generalstaatsanwalt beim Kammergericht ein Programm zur Neustrukturierung der Staatsanwaltschaft. Darin werden auch die Erkenntnisse einfließen, die sich aus einer vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebenen Organisationsuntersuchung der Unternehmensgruppe Kienbaum an drei deutschen Staatsanwaltschaften ergeben. Die Umsetzung dieser Neustrukturierung wird eine der wesentlichen Aufgaben des neuen Generalstaatsanwaltes Hansjürgen Karge sein.
An der unzureichenden technischen Ausstattung wird sich auch in diesem Jahr noch nichts ändern. Erst 1997 wird die alte Hardware durch moderne Technik ersetzt. Ein Tropfen auf den heißen Stein sind die 200 Telefone mit Wahlwiederholungstaste, die derzeit für die Staatsanwaltschaft I im Bereich des Kriminalgerichts in der Turmstraße installiert werden.
* Name von der Redaktion geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen