: Eisiges Schweigen
■ In einem Drei-Stunden-Marathon verabschiedete sich Lutz Bertram von seinen Hörern. Ein letzter "Auftakt" - wohin?
„Ich kann jeden Tag aufhören“, hatte Lutz Bertram 1993 in einem taz-Interview erklärt. Nun also ist es tatsächlich vorbei mit dem täglichen „Auftakt“ des Brandenburger Frühstücksdirektors. Seit vergangenen Freitag ist er als Stasi- Spitzel enttarnt, nun will er sich den „Furunkel abschneiden“, reinen Tisch machen. Und so zog er gestern um 6.05 Uhr noch einmal die Regler hoch für seine Gemeinde aus „aufgeweckten Zeitgenossen und mündigen Bürgern der Region“. Zuvor hatte die Berliner Wasserschutzpolizei eindringlich vor dem Betreten der Berliner Seen gewarnt. Die Eisdecke sei trotz anhaltenden Frostes beileibe noch nicht tragfähig.
Gleichwohl begab sich nun also Lutz Bertram aus freien Stücken aufs dünne Eis, seine „Verstrickungen“ mit den Hörern „besprechen zu dürfen“. Denn anderenfalls sei doch seine Sendung, „wie immer sie war, eine Lüge“ gewesen. „Solidarische Grüße“ liefen da vor allem anderen ein, wie von Frau Henschel, der ersten Hörerin der Sendestrecke, die so sehr bedauert, daß es „Sie, lieber Herr Bertram, nun zum zweiten Mal erwischt hat“. Erst mit Blindheit geschlagen, dann von der Stasi ausgehorcht und nun auch noch mit Redeverbot belegt, wurde IM „Romeo“ (so angeblich sein selbstgewählter Deckname) flugs zum Opfer des Systems. „Vielen Dank, Frau Henschel und guten Morgen Frau Büring“, schlitterte Bertram zunehmend sicherer durch den Morgen, der – wenn es auch gelegentlich knisterte – von einem Bekenntnis zur Kontinuität getragen wurde. Denn auch Frau Büring ermutigte ihren Frühstücksdirektor zum Ausharren: „Mir haben Sie nix getan. Machen Sie weiter.“
Aber womit eigentlich? Mit den harschen Fragen an die Täter, mit dem „Ham Se nun oder ham Se nicht, Herr Stolpe?“ In vorderster Front für die Einigkeit einer deutsch-deutschen Hörerschaft – mit wahrhaftigen Lachern, stakkato-tönenden Gedankenelipsen?
Kaum kritische Töne mußte sich Lutz Bertram an diesem frühen Morgen anhören, die Enttäuschten, Wütenden, Kritischen standen wohl erst später auf. Und wenn es nicht gerade solche waren, wie der selbst blinde Herr Müller, der Bertram vorwarf, auf seiner „Blindheit herumzureiten“, so wurden Widerspenstige doch recht rüde abgefertigt. „Sie haben nicht begriffen, worum es eigentlich geht“, meinte Herr Glauwitz aus Westberlin, „ich finde es gemein von Ihnen, daß Sie selbst keine Konsequenzen ziehen.“ Vielen Dank, der nächste bitte.
Mehr Raum hatte da schon Frau Wolf, die das lange Schweigen des Lutz Bertram zu „einer Art Ehebruch“ verniedlichte. Sie darf an Bertrams Inszenierung noch ein wenig mitwirken, darf sehr wohl seine Frage beantworten, ob „der existentielle Bruch nicht vielleicht ein gerechtfertiger Preis“ für seine Taten sei? Aber natürlich nicht! Wegen eines kleinen Seitensprungs mit der Stasi muß man sich doch nicht gleich trennen! Oder vielleicht doch?
Mit seiner geschickten Gesprächsführung hat der scheinbar so offenherzige Bertram trotz aller Ankündigungen in den ganzen drei Stunden wieder kaum mehr zugegeben, als das, was die in der Gauck-Behörde gefundene Karteikarte bereits erzählt: Er hat mitgemacht. Aber wobei? Jetzt müsse man eben genau hinschauen, welche Folgen die Plaudereien mit dem Führungsoffizier eigentlich gehabt haben, geben die Hörer zu bedenken. „Entschuldigung! Genau das habe ich vor!“ erklärt Bertram mit Verve, „in jedem einzelnen Fall, der mir nachgewiesen werden kann.“ Vielleicht hat er Glück, vielleicht fördert die Rechercheanfrage seines Verlegers Christoph Links gar kein konkretes Opfer zutage. Bertrams Akten sind vernichtet, die Suche nach Geschädigten – sie wird sich schwierig gestalten. „Aber gab es nicht mehr als nur persönlichen Schaden“, hakt eine Hörerin nach, „vielmehr auch einen allgemeinen, daß nämlich ein ganzes Volk denken mußte, jederzeit ausgehorcht werden zu können?“ – „Hmm“, besinnt sich da der Frühstücksdirektor theatralisch, „stimmt.“
Schuld hat er auf sich geladen, wie konkret sie auch immer sei. Ausführlich debattierten die im Äther versammelten Geschworenen über das Strafmaß: Ein halbes Jahr Rundfunkabstinenz? Ein ganzes? Aber Bertram ist wie Möllemann: Die Wiedergutmachung seiner Taten will er, der sich erst von seinem Führungsoffizier nach seinem öffentlichen Geständnis vom Samstag sagen lassen mußte, man habe ihn „auch bei seinem Ego gepackt“ – Wiedergutmachung will der nicht uneitle Frühstücksdirektor nun also partout in den Medien leisten.
„Jeden Tag aufhören“, gerade das kann dieser Bertram nicht. Zu wichtig scheint ihm seine Rolle im Moralgeflecht der deutsch-deutschen Vereinigung zu sein. Und wirklich! Mit welcher Lockerheit die Osthörer über seine Stasi-Verstrickungen hinweggehen, wie sehr sie ihn ermuntern, unter allen (welchen?) Umständen die „Stimme des Ostens“ zu bleiben, macht vor allem eins deutlich: Daß sie da einer wieder „zu mündigen Bürgern, wachen Zeitgenossen dieser Region“ machte, in der die Stasi-Spitzel so gut gediehen – das zählte und soll weiter zählen.
„Sehen Sie“, versuchte ein Hörer aus dem Westen kurz vor Ende der Sendung noch einmal die Inszenierung zu entlarven, „wir, die wir hier jetzt anrufen, sind aufgeregt und haben nur eine Miunute Zeit, uns zu erklären. Aber Sie sagen eigentlich gar nichts! Soll das hier kein Bekenntnis, sondern eine Abstimmung sein?“ – „Von meiner Seite nicht!“ erklärte Bertram. Aber auf die Nachfrage, ob er denn jetzt aus freien Stücken abtrete, antwortet er wieder mit eisigem Schweigen.
Er will nicht abtreten, das hat Bertrams Medienmarathon mit Sicherheit gezeigt, erst recht nicht „so ohne Sang und Klang“. Und das Eis hat ihn getragen, das Volk hat gewählt, wird ihn wieder wählen – gleich so, wie es auch seine Politiker immer wieder ins Amt setzt: Nach einer kleinen schamhaften Pause, aber dann mit einer stattlichen Mehrheit. Klaudia Brunst
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