: Nekrophile Feuchtgebiete
■ Verwesung fällt wegen zu hohem Wasserstand aus: Bremer Friedhöfe sind teilweise gesperrt / Leichen im Plastiksack: Marschtote verschmurgeln im eigenen Saft
Das Phänomen ist schon uralt, aber wen es trifft, den trifft es meistens hart. Wenn der nahe Angehörige im Familiengrab beigesetzt werden wollte – und die Hinterbliebenen dann von der Friedhofsverwaltung zu hören kriegen, daß das nicht möglich ist. Beim besten Willen nicht. Drei Bremer Friedhöfe sind zum Teil gesperrt, der Riensberger Friedhof sogar zu vier Fünfteln. Da gehen nur noch Urnenbestattungen, Erdbestattungen sind verboten. Der Grund: Wasser.
Auf Riensberg passiert, was bei einem Friedhof nie und nimmer passieren darf, aber gerade in Norddeutschland oft passiert. Die Leichen verwesen nicht, weil der Grundwasserspiegel so hoch ist. „Früher sind da gruselige Sachen passiert“, erzählt Steffen Kunkel. Kunkel ist zuständig für Friedhöfe bei „Stadt-Grün Bremen“, dem frischkonvertierten Gartenbauamt. „Da wurde das Familiengrab geöffnet, um eine weitere Bestattung vorzunehmen, und dann sich die Totengräber auf eine kaum verweste Leiche gestoßen. Die hatten die Vorgänger schon nicht tief genug eingegraben, weil da das Wasser schon zu hoch gestanden ist.“ Dann blieb nur Tieferlegen.
Die Friedhofsverwaltungen in Norddeutschland haben vor allem mit dem hohen Wasser zu kämpfen. Der Effekt: „Sie kennen das Phänomen der Moorleichen. Das Wasser konserviert. Es dauert Jahrzehnte länger, bis die Toten verwest sind“, sagt Kunkel. Und korrigiert sich gleich wieder. „Eigentlich soll man 'Reduktion' sagen, das hab ich bei der Berichterstattung über Ötzi gelernt, nicht 'Verwesung'.“ Ein Angehöriger hatte sich beschwert, weil ihm die Friedhofsverwaltung geschrieben hatte, die Mutter auf Riensberg sei noch nicht richtig 'zersetzt' und 'verwest'. Wie auch immer. Wenn die Grabpacht nach 25 bis 30 Jahren abgelaufen ist, ist die Leiche noch längst nicht in dem Zustand, daß Nachmieterinnen gesucht werden könnten. Reaktion der Verwaltung: Müssen sie halt länger liegen.
Die meisten Freidhöfe im nassen Norden sind auf Hügeln angelegt worden. Da kommt das Wasser nicht bis an den Sarg. Der liegt mindestens einsachtzig tief, bei Doppelbelegung zweivierzig. Wenn man dann noch den Kapillareffekt überlisten will, dann sollte das Grundwasser mindestens drei Meter unter der Erde sein. Überall gelingt das nicht. „In der Wesermarsch werden die Leichen zum Teil in Plastikfolie eingeschweißt, damit kein Wasser drankommt“, erzählt Hans-Werner Blank von der Naturschutzabteilung beim Umweltsenator. Die Leichen verschmurgeln dann sozusagen im eigenen Saft. So weit wollen die BremerInnen nicht gehen. Sie sperren die nekrophilen Feuchtgebiete. Da dürfen höchstens noch Urnen verbuddelt werden.
Am schlimmsten ist das Grundwasserproblem in Schwachhausen. Als der Riensberger Friedhof 1875 in Betrieb ging, da hatten es sich die Bauherren so hübsch ausgedacht. Sie legten ein aufwendigen Drainagesystem, und über Jahrzehnte ging alles gut – bis die altersschwache Entwässerungsanlage zerfiel. Die Folgen sind bekannt.
Seit 1991 sind deshalb Teile des Riensberger, des Waller und des Buntentor-Friedhofes für Erdbestattungen gesperrt. „Eigentlich hätte das schon viel eher passieren müssen, aber es mußten erst die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden“, sagt Kunkel. Nun kriegen in einer aufwendigen Verwaltungaktion nach und nach alle Angehörigen Post. Die Sperrung stehe bevor. Für die Angehörigen ist es oft genug ziemlich schwer, die Sperrung zu akzeptieren, noch viel schwerer allerdings, wenn sie in der frischen Trauer kalt davon erwischet werden.
Trotz aller Sperrungen, noch muß Bremen nicht den Bestattungsnotstand ausrufen. Der Trend geht eher in Richtung Entlastung, denn: Immer weniger BremerInnen lassen sich ganz konventionell im Sarg unter die Erde bringen, seit die Grabpachten horrende Höhen erklommen haben. Das schafft Platz auf den Friedhöfen. Urnen brauchen kaum Fläche, und die Pacht läuft fünf bis zehn Jahre eher ab als bei Ganzkörpergräbern. Die Ein-äscherungsquote liegt in Bremen mittlerweile bei 60 Prozent, Tendenz steigend.
Dabei sind die BremerInnen besonders pyroman, wenn es um die Verblichenen geht. Tote HannoveranerInnen werden nur zu 35-40 Prozent eingeäschert. Entwarnung also an der Bremer Bestattungsfront. Die Reserven reichen noch mindestens für die nächsten fünf Jahre, hat die Friedhofsverwaltung ausgerechnet. Jochen Grabler
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