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Der letzte Tropenhelm bleibt auf

„Afrika“ sind nur die eigenen sechs Buchstaben: Ausgehend von Motiven Joseph Conrads, analysiert die neue Lubricat-Produktion im Tacheles den Kolonialismus als Triebprojektion  ■ Von Petra Kohse

Mit Mütze und Schal saß man auf einer der im Halbkreis angeordneten Holzbänke, in eine Wolldecke eingemummelt, beide Hände um den Plastikbecher mit Tee gelegt. Die Raumtemperatur konnte höchstens 5 Grad betragen haben bei der Premiere der neuen Lubricat-Produktion im Tacheles. „Afrika“ stand außen dran, aber im Wortsinn „Afrika“ konnte unter diesen Umständen schwerlich drin sein.

Schon gar nicht das Afrika der Jahrhundertwende, wo Joseph Conrads Novelle „Herz der Finsternis“ spielt. Gaslämpchen mag es damals ja dort gegeben haben, aber wohl kaum einen dieser kleinen geknüpften Teppiche, die gutbürgerlich „Brücke“ heißen. Und kein Bügelbrett und keinen Diaprojektor. Und keine italienische Grammophon-Musik.

Armin Dallapiccola tritt auf, mit hellem Tropenanzug, weißen Handschuhen und einem Fliegenschutz überm blaßgeschminkten Gesicht. Nein: Er tänzelt herein. In Zeitlupe, sich expressionistisch windend. „I had a farm in Africa...“ deklamiert er Tania Blixens Anfangssätze aus „Out of Africa“ immer wieder und schiebt sich über die Spielfläche. Dann legt (nein: bettet) er sich auf die Brücke und ist die englischste Meryl-Streep-Kopie und der europäischste Europäer überhaupt. So was geht doch nur in Afrika.

Joseph Conrad war Kapitän der englischen Handelsflotte, genau wie sein Marlow in der 1899 veröffentlichten Geschichte „Herz der Finsternis“. Am Kongo trifft Marlow auf den Elfenbeinagenten Kurtz, ein eigentlich Schwarzer unter den Schwarzen: ein brutaler, ausbeuterischer Dämon, des jungen Kapitäns triebhaftes Alter ego. Die Reise als Seelenfahrt, Fremdheitserfahrung als Projektion – darum geht es den Lubricats, und nur der kleinere Teil des gesprochenen Textes stammt von Conrad.

In der Regie von Dirk Cieslak (der gelegentlich auch als Requisiteur die Spielfläche betritt) spielt Dallapiccola ein vielstimmiges Afrika-Konzert, komponiert aus etlichen positiv diskriminierenden neu- und gründerzeitlichen Klischees sowie Versatzstücken der Novelle. Das Leitmotiv ist die ironisierende Übertragung der Afrika-Vorurteile auf die Homosexualität, ohne daß auch nur einmal das Wort „schwul“ fiele – und tatsächlich läßt sich alles auch allgemeingeschlechtlich verstehen.

Zu Beginn der gut einstündigen Vorstellung bügelt Dallapiccola sein Hemd. Dabei hört er (ein gebürtiger Vorarlberger) einen österreichischen Rundfunkbericht über den Start der Mondfähre Apollo 11. Aber wir befinden uns nicht im Jahr 1969, die Sendung kommt vom Band: er kann jedes Wort mitsprechen. Afrikafahrer, Mondfahrer, Selbsterfahrer.

Mal im Kabarett-Ton mehr oder minder dezent tuntelnd, mal als bekennender Masochist im Enthemmungsgruppen-Jargon verdrängt oder bekennt er: „Ich bin der bessere Neger.“ Dann wieder dröhnt ein Hubschraubergeräusch durch den Lautsprecher, Dallapiccola stottert schreiend in ein weit nach oben gehängtes Mikrofon, kehrt mit Staatstheaterstimme zurück zu Conrads Novelle, um dann den Kurtz zu spielen: Stockschwingend hält er dem Publikum rohes Fleisch unter die Nase. Quälen und sich unterwerfen sind des Menschen Triebe; wer's nicht glaubt, ist zivilisiert.

Eine Diashow schließlich vereint Gruppenfotos von schwarzen Großfamilien (idyllisch: vor der Hütte) mit dem Porträt eines nackten Männerhinterns (weniger idyllisch: rektale Injektion eines Medikaments). Da verschwimmen ethnologische und soziale Klischees zur plakativen Oberflächendiagnose des Kolonialismus. Auch wenn gleichzeitig von Krankheiten gesprochen wird, die Europäern „da unten“ drohen – die Triebprojektionsanalyse allein reicht als Erklärungsmodell nicht weit. Bestimmt liegt der Ursprung der meisten seelisch-geistig-gesellschaftlichen Konflikte im Unterleib, und sicher hatte und hat Kolonialismus viel mit Kompensation zu tun, aber ein bißchen komplexer dürfte das Bild ruhig sein.

Lubricat, die zuletzt in der Volksbühne mit „Red, blue and yellow“ ein Stück über Aids und im Theater zum Westlichen Stadthirschen eines über die Tänzerin Silvia Kesselheim zeigten („Silvi blüht“), deklarieren jetzt den schwarzen Kontinent zu einer weißen Fläche und umgekehrt. Vielleicht ist es ihr Gerechtigkeitssinn, der sie in die Eindimensionalität hat geraten lassen. So jedoch bleibt polemisch, was politisch sein könnte. Aber schließlich ist der Tänzer Dallapiccola ein sehr eleganter Schauspieler und der Eifer der Inszenierung einer der unaufgeregten, der vornehmen Art, was die ganze Sache in der Ästhetik wieder ironisch differenziert. Auch wird die Pseudozivilisationsnoblesse mit dem „Out of Africa“- Vorspiel so schön hochgeschraubt, daß am Ende etwas davon übrigbleibt. Nicht zuletzt zeigt Dallapiccola ja lieber ein Lichtbild als den eigenen Hintern pur. Und gibt die „Zehn kleinen Negerlein“ nur bis zum siebten preis.

„I had a farm in Africa...“ – den letzten Tropenhelm setzt keiner ab.

Lubricat: „Afrika“, noch bis 22.1., Mi.–So., 20 Uhr, Theatersaal im 4. Stock, Tacheles, Oranienburger Straße 54–56a, Mitte.

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