: DGB: Mit neuem Logo zu neuen Ufern
■ Vollbeschäftigungsmodell keine Perspektive, tönt es neu
Düsseldorf (taz) – „Bevor du darangehst die Welt zu verändern, gehe dreimal durch dein eigenes Haus“. Getreu diesem chinesichen Sprichwort will der DGB die Zukunft meistern. Von der Renovierung des eigenen Hauses kündet die neue rote Raute, eine Art symbolisches Dach für alle organisierten Arbeitnehmer der Republik. Der Wandel von Blau zu Rot soll jedermann signalisieren, daß sich im DGB etwas entscheidendes tut: Nach den Worten des DGB-Chefs Dieter Schulte will der Dachverband künftig als „gestaltende Reformkraft der Arbeitsgesellschaft“ Profil gewinnen und „die Zukunft der Arbeit in den Mittelpunkt seiner programmatischen Reformdebatte und seiner politischen Praxis stellen“. Dabei steht für den seit sechs Monaten amtierenden Schulte fest, daß es „keine Rückkehr zur Vollbeschäftigung zu den alten Bedingungen“ geben kann, wohl aber „eine Zukunft der Arbeit für alle“. Dafür brauche es „Mut zu neuen Wegen“.
1995 will der DGB „konkrete Schritte zum Abbau der Arbeitslosigkeit durchsetzen“, um sie bis zum Jahr 2000 zu halbieren. Verkürzung und Flexibilisierung der Arbeitszeiten gehören laut Schulte ebenso dazu wie Ausbau von Teilzeitarbeit, Gleitzeit und „Sabbatjahr“. Insgesamt gehe es um eine gründliche Veränderung der Arbeits- und Lebensgewohnheiten, die dem einzelnen Arbeitnehmer mehr „Zeitsouveränität“ bescheren müsse. Mit dem Arbeitsverständnis, „daß die bezahlte Erwerbsarbeit primär als Männerarbeit und die unbezahlte Reproduktionsarbeit als Frauenarbeit definiert“ werde, müsse Schluß sein. Für einen DGB-Chef sind das neue Töne, die sich in weiten Teilen des männlichen Funktionärskörpers und der Mitgliedschaft wohl erst noch durchsetzen müssen. Mit welchen gewerkschaftlichen Projekten und Mitteln die „Zivilisierung der Arbeitsgesellschaft“ konkret durchgesetzt werden sollen, ließ Schulte weitgehend offen. „Gesprächsoffensiven“ und „Kampagnen“ solle es geben, Einzelheiten Fehlanzeige.
Die neuen Töne und Initiativen dienen nicht zuletzt dazu, den gewaltigen Mitgliederschwund der Gewerkschaften zu stoppen. Im letzten Jahr sank die Zahl der Beitragszahler erneut um rund 515.000. Seit 1991 kehrten insgesamt rund zwei Millionen Mitglieder dem DGB den Rücken – vor allem im Osten. Von ehemals 4,2 Millionen schrumpfte hier die Zahl auf 2,5 Millionen. Im Westen zahlen noch etwa 7,3 Millionen ihre Beiträge. Vor allem junge Leute und Frauen verspüren derzeit wenig Neigung, sich zu organisieren. Hier will der DGB jetzt ansetzen. Ob es gelingt, bleibt fraglich, denn es gilt für die Gewerkschaftsführungen, viel wiedergutzumachen. „Mindestens zwei Jahrzehnte verschlafen“ haben die Gewerkschaften laut IG-Medien-Chef Detlef Hensche. Ihre Unattraktivität resultiere nicht zuletzt daraus, daß die Apparate jahrzehntelang „schön bürokratisch alles an Pflänzchen und oppositionellen Gruppen abgewürgt“ hätten. Walter Jakobs
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