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Jungslyrik aushebeln

■ Die Lassie Singers, Berlins vorletzte Pophoffnung, kommen mit neuer Platte auf Tour. C.C. Hügelsheim und Almut Schummel, der harte Bandkern, über sich, männliche Mitmenschen und die Onomatopoesie des...

Lassie Singers, Träume der Jugend, Kneipenphilosophien und Alltagskunst – lange sah es so aus, als sollte es bei zwei aparten, verehrten, aber mäßig verkäuflichen Tonträgern bleiben. Eine Singerin ging unterwegs verloren, den Gitarristen fraß der böse Frust, da waren's nur noch zwei. Doch dann kam F.J. Krüger, einst bei „Ideal“ und heute noch als der große alte Mann der Neuen Deutschen Welle bekannt – und mit ihm ein neuer Ansatz. Auf der neuen CD „Stadt, Land, Verbrechen“ versuchen die reformierten Lassie Singers jetzt den Sprung vom Spaßprojekt zum Akzeptanzphänomen. Helfen sie uns damit noch? C.C. Hügelsheim und Almut Schummel, die beiden Texterinnen, gaben Antwort.

taz: Beim Stichwort Lassie Singers denke ich zuerst an Zeilen wie „Leben in der Bar/schlafen kann ich wenn ich tot bin“. Auf der neuen Platte fehlt dieses grandiose, punkige Die-Welt-eine- gute-Bar-sein-lassen. Seid ihr in zwei Jahren zehn Jahre älter geworden?

Hügelsheim: Mich wundert, was die Leute alles so raushören, eigentlich geh' ich noch genausoviel weg wie früher. Gut, die erste Platte war sehr jugendlich, teeniemäßig, da hat man Kindheit und Jugend verarbeitet; wenn man anfängt, Lieder zu schreiben, gibt es halt oft Ideen und Erlebnisse, die Jahre zurückliegen. Die zweite, 92 war das glaub' ich, ging dann um Dinge, die so ein Jahr zurücklagen, die Zeit, in der wir viel unterwegs waren, diese ganze Hamburg- Euphorie. Die Platte ist ja in Hamburg aufgenommen, wo zu der Zeit Blumfeld, Die Sterne, Huah! und so weiter entstanden sind, da hat man sich erstmals ein bißchen einer Szene zugehörig empfunden – in Berlin waren wir ja nie anerkannt. Das mit den Cliquen hat heute abgenommen, aber das ist normal.

Aber gerade das ist es doch: Die Kneipenclique als Background, Spaßzusammenhang und geheimer Mitproduzent ist nicht mehr so hörbar wie noch auf einem Stück wie „Junge Menschen“, wo halb Kreuzberg am Ende mitsingt.

Hügelsheim: Naja, das war eigentlich ein Verzweiflungsstück. Wir haben die Platte nicht vollgekriegt und uns gedacht: Ach, machen wir einfach 'ne Party. Wir waren ja nie 'ne Band, die alles vorher schon richtig arrangiert, das Stück ist ja auch eigentlich von Funny van Dannen. Daß es nicht irgendwelche Leute waren, daß diese Stimmung zu der Zeit geherrscht hat – das hat man dann natürlich auch gehört. Aber es wäre Quatsch gewesen, so was wieder zu inszenieren.

Ist da wieder mal ein Stück Berlin weggebrochen?

Hügelsheim: Wenn, dann eher ein Stück Hamburg.

Meine Freundin hat die Lassie Singers aber stimmungsmäßig immer als Berlin-Blues empfunden – Lieder aus einem Berliner Mikrokosmos.

Hügelsheim: Gut, aber inhaltlich hat sich gar nicht so viel verändert, auch wenn viele das sagen. Zum Beispiel das Stück „Langeweile“. Da beschwert sich ein Mensch, weil er total viel erleben will, aber man bietet ihm nichts.

„Erlebnisbereitschaft x hoch 1.000, Erfüllungsquotient kleiner gleich 0?“

Hügelsheim: Das sind halt diese Abende, wo man gutgelaunt ausgeht, zum Beispiel ins ,Ex und Pop‘, und dann nur dumm rumsitzt, es ist deprimierend. Dann, beim 101. Mal, ist es plötzlich wieder toll. Oft aber noch nicht mal dann. Und ein bißchen älter wird man natürlich schon. Es ist aber schon verrückt: die einen sagen, jetzt machen die Lassie Singers total auf jung und lustig, die anderen sehen mehr dieses Grüblerische in einem Song wie „Geheime Gesellschaft“, wo es um das „Glück, traurig zu sein“ geht. Wie hat mal jemand geschrieben? – die anonymen Melancholiker.

Im Titelsong „Stadt, Land, Verbrechen“ gibt es ja auch die hammermäßigsten Grübeltextklötze wie „Was hält uns noch zusammen? Vielleicht nur Konkurrenz.“

Schummel: Also das ist ein bißchen auch Verarschung ...

Hügelsheim: ... auf Blumfeld, die neuen Bands aus Hamburg – obwohl wir die Leute ja mögen –, Kunstwörter, Kunstsprache: „Alles wird immer komplexer, die Zeit beschleunigt sich, wo bleibt der Mensch?“ und so.

Jungslyrik aushebeln?

Hügelsheim: Ja, genau: diese doofe Uni-Sprache, die von Jungs gesprochen wird: „Die alten Werte gelten nicht mehr, man muß sich neue Koordinaten suchen.“ Das Stück bezieht sich ja auf „Stadt, Land, Fluß“, das alte Spiel mit Begriffsreihen, das wir früher wirklich gespielt haben. Und wir setzen in die Sparten einfach so was ein.

Schummel: Die Begriffe sind vollkommen beliebig. „Alle machen Spargelessen, Pausen und Geschlechtsverkehr“, das bedeutet ja eigentlich nix. Aber bloß, indem man das in so einen Song einbaut, denken alle: Hm, soso. Es ist gegen die Helden der – was weiß ich ... Philosophie. Überkandidelt sagt man bei uns. Überzwerch.

Geschlechterverhältnisstücke sind ja auch wieder stark vertreten auf der neuen Platte. „Du läßt dich gehn“, „Schade“, in Männerzimmern riecht es nach „totem Tier mit Strumpf“ ...

Schummel: Obwohl wir gerade diesmal auch den Haß gegen eine Frau, äh ... problematisiert haben, in „Kindchenschema“. Das geht gegen einen bestimmten Frauentypus, Frauen, die immer tiptop aussehen, nie besoffen sind und aus lauter Angst, mal was Falsches zu sagen, lieber garnix sagen. Immer: „Na hallo, wie geht's.“

Geht das auch gegen neuere Rollenmodelle wie Winona Ryder?

Hügelsheim: Ein bißchen vielleicht. Na, die zuckt wenigstens noch ab und zu mit den Mundwinkeln.

Schummel: Das ist aber auch eklig. Soll immer so Leidenschaft und unkontrollierte Passion ausdrücken.

Hügelsheim: Da ist natürlich auch ein bißchen Neid mit drin. Die Männer, die uns zwar interessanter oder lustiger finden und mit uns ausgehen, die stehen im Endeffekt mehr auf diesen anderen Frauentyp. Mit der kann man sich sehen lassen, die ist ja auch nicht blöd, es ist eine Frau, die auch „ihre Weiblichkeit nicht versteckt“.

Schummel: Heiraten würden sie die dann.

Und der provokante Gegenentwurf ist der Mann mit dem „Sex in der Tasche“, den ihr auch besingt – der kann dann ruhig dumm und dämlich sein?

Schummel: Ein bißchen ist das schon so. Der Typ hat eigentlich nichts, man weiß wirklich nicht, was an ihm gut sein soll, aber trotzdem ist noch so was Instinkthaftes da, was bei der Frau völlig fehlt ...

Trotzdem sind eure Stücke in dem Punkt wenig explicit, siehe „Tantra Tantra“. Da geht die Frau erst direkt auf den Mann los, im Refrain sind dann aber doch nur wieder diese putzigen Sexwörter übrig: „Shalalama Kamasutra klingelingeling“. Ich meine, Liz Phair singt „Fuck and run“, Svevo singen „Sie wollte eigentlich nur sagen: Komm wir ficken“, bei euch ist das mehr so Onomatopoesie des Geschlechtsverkehrs.

Hügelsheim: Das andere wär' uns zu hart, davor scheuen wir dann doch zurück, katholische Erziehung und so. Aber im Ernst: Das Stück ist natürlich auch ironisch: Wir tun nur so, als ob wir diese Einstellung hätten, als ob wir so wären. Das ist auch eine Verarschung von „freier Liebe“ und Hippietum. Ursprünglich sollte das Stück „Indie-Sex“ heißen – aber schon auch positiv gemeint: Die Frau, die sich nimmt, was sie braucht, und zum Mann sagt: „Hab keine Angst, ich bin ganz normal.“

Gerade über die Zeile haben wir lange gegrübelt. Was das heißen soll: „Ich bin ganz normal.“

Schummel: Mein Lieblingssatz von der ganzen Platte. Es geht darum, über den eigenen Schatten zu springen. Wenn man sich das schon so ausspinnt, „Hallo fremder Mann, geile Frisur, gehn wir zu dir, gehn wir zu mir“, was ich im richtigen Leben nie so tun würde, daß man dann auch noch soviel Domina ist, so souverän, daß man ihn dann tröstet: „keine Angst, Baby ...“

Hügelsheim: Eine Rolle spielen. Anzugeben damit, als ob man so wäre. So cool sein, so großkotzig. Ein bißchen hämisch sind ja auch viele Stücke von uns. Auch „Du läßt dich gehen“ zum Beispiel, letztlich ist es ja auch 'ne blöde Kuh, die so was sagt. Es macht halt Spaß, im Text mal zurückzuschlagen – auch wenn es irgendwie eine billige Einstellung ist, die Verhältnisse einfach umzudrehen.

Wieso die vielen Umbesetzungen?

Schummel: Wir haben verlassen und wir wurden verlassen. Mit Kathi von Witzleben haben wir uns schon lange nicht mehr verstanden. Hermann Hermann fand uns einfach nicht mehr gut, er wollte lieber auf Indie-Level weitermachen und auf keinen Fall in irgendeiner Fernsehshow auftreten. Wir fänden es aber nach 7 Jahren schon nicht schlecht, mal von der Musik leben zu können, und dafür braucht man halt ein bißchen ein größeres Publikum. Auf F.J. Krüger sind wir, als wir schon ganz verzweifelt waren, durch Zufall durch einen Kneipenkontakt gekommen. Der war dann auch total begeisterungsfähig, ist richtig aufgelebt, wenn wir zusammen gesungen haben.

Dafür hat er euch aber auch die ganz schön fette Rockproduktion beschert. Und wenn er singt, klingt es gleich nach Neuer Deutscher Welle, nach Ideal, Trio und Codo, der im Sauseschritt düst ...

Hügelsheim: F.J. Krüger hat halt seinen Stil. Das heißt aber nicht, daß wir das immer so machen müssen oder daß wir auf diese Richtung festgelegt wären. Es war eben mal ein Weg. Für die nächste Platte gehen wir dann nach Nashville.

Moderation: Gerrit Bartels

und Thomas Groß

Lassie Singers: Stadt, Land, Verbrechen (Dragnet; Sony)

Die Lassie Singers auf Tour:

14.01. Berlin, 16.01. Hamburg; 21.01. Köln; 24.01. Frankfurt; 2.02. München und 3.02. Wien.

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