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Moderner „Le Shuttle“ – Mix aus Autowaschanlage und Flugzeug

■ Eine Fahrt durch den Eurotunnel vom französischen Calais nach Folkestone in England dauert 35 Minuten

Vor uns senkt sich langsam das Rollgitter. Zischend schließen sich die mit Druckluft betriebenen Seitentüren. Unser Renault steht ganz vorn im Waggon, dahinter haben drei weitere Autos Platz genommen. „Motor abstellen, Fenster herunterlassen, Rauchen einstellen, in der Nähe des Autos bleiben“, dialogisiert die Leuchtschrift unter der Decke mit uns Passagieren. „Le Shuttle“ – der Zug – fährt sanft los. Über Lautsprecher wünscht uns der Train Captain eine angenehme Reise, gerade noch rechtzeitig bevor wir vier Minuten nach Abfahrt im Tunnel verschwinden.

Eine atmosphärische Mischung aus Autowaschanlage (Wo bleiben bloß die rotierenden Besen?) und Charterflugzeug (Wann bringt die Stewardess endlich die Häppchen und Drinks?) umgibt uns Reisende. Der Blick durch die Shuttle- Fensterchen trifft ins Tunnelschwarze. Wie eine sanft schaukelnde Fähre legt sich der Zug von der einen auf die andere Seite. Vom Rauschen des Ärmelkanals ist nichts zu vernehmen.

„Le Shuttle“ (sprich: lö schattel) heißt der franko-englische Doppeldeckerzug, der Autos und Begleitpersonal Huckepack nimmt. Zwei Tage vor Heiligabend im letzten Jahr war Premiere. Ab dem 2. Januar verkehrt der Zug durch den sogenannten Eurotunnel zwischen Calais und Folkestone im stündlichen Pendelbetrieb, rund um die Uhr. „Le Shuttle“, so heißt auch die private Betreibergesellschaft, ein Subunternehmen des Eurotunnel-Konsortiums, das den Tunnel seit 1986 gebaut und finanziert hat. Der Fahrpreis gilt per Fahrzeug, egal wieviel Personen sich darin verbergen. Noch bis Ende März bietet die Gesellschaft eine Tagesfahrt hin und zurück zum Schnupperpreis von 390 Francs oder 49 britischen Pfund (etwa 120 Deutsche Mark).

Da wollten wir uns nicht lumpen lassen und auch mal in die Röhre schauen. Also von Lille, der aufstrebenden nordfranzösischen Provinzmetropole, über die wenig befahrene Autoroute zum Euro- Terminal nach Sangatte nahe Calais. Hier empfängt uns die in Frankreich so beliebte architektonische und technologische Gigantomanie. Von der A 16 folgen wir dem verzwickten System der Ausfahrten. Und weil Natur viel schöner ist, wenn man sie erst platt macht, um sie in neuer Idylle zu rekonstruieren, haben die Architekten einen künstlichen See mit Schwänen angelegt, über dem sich die Terminal-Zubringer auf Betonstelzen kühn vereinigen. Was folgt, ist ein großzügiger Komplex mit allen Schikanen: einem Informationszentrum, Ticket-Stationen unter ästhetisch-geschwungenen Dächern, einem riesigen Verwaltungstrakt, einem Terminalgebäude und Dutzenden von Einfädelungsspuren.

Die Verkehrsführung von den Ticket-Stationen über die Paßkontroll-Kabuffs bis zur Zugrampe ist ziemlich verwirrend. Allein das angenehme blau-grüne Farbdesign der zweisprachigen Hinweisschilder sorgt ein wenig für Struktur. In den gleichen Farben sind auch die Uniformen der Angestellten und der waagerechte Streifen auf „Le Shuttle“ gehalten.

Zum Glück ist heute nicht viel los, so daß unser Zickzackkurs vorbei an jeder Menge freundlich winkender Streckenposten doch noch zum Ziel führt. Am Doppelstockzug weist uns eine adrette Shuttle- Dame im Untergeschoß ein. Freundliche Helfer winken uns durch den Zugbauch, so weit, wie es geht. Der zweistöckige Zug hat 24 Waggons mit je sieben bis acht Stellplätzen. Insgesamt also etwa 180 Autos pro Fuhre. Doch noch längst nicht alles, was so schön neu aussieht und riecht, ist vollendeter „Le Shuttle“-Komfort: Wer brav, wie uns geheißen, die Fenster seines Autos runterkurbelt, der muß sich (zumal bei Minusgraden draußen) warm anziehen, denn die Innenheizung des Zuges ist sehr lau. Und wer wie wir einem gewissen Bedürfnis nachkommen will, muß sich von Waggon zu Waggon durch die Preßlufttüren zwängen, um dann vor dem stillen Örtchen garantiert auf eine stattliche Warteschlange zu treffen.

Leider hat es auch keiner von der Shuttle-Crew für nötig befunden, uns über das Wetter auf der anderen Kanalseite aufzuklären. Denn als wir nach der wie im Flug vergehenden 35minütigen Passage bei Folkestone wieder Land sehen, empfängt uns – ein lausiger Schneesturm. Wir flüchten zu einem Pott Tee und einem Karottenkuchen ins nahe gelegene „Eurotunnel Exhibition Centre“. Draußen an der Hauswand prangt ein großes buntes Foto: Zwei Helden der Arbeit strahlen um die Wette. Der eine, Engländer, der andere, Franzose, reichen sich nach getaner Arbeit, dem historischen Tunneldurchbruch, die Hand.

Später, im Customer Service Centre, schräg gegenüber, halten wir ein Schwätzchen mit Penny C. Die junge „Le Shuttle“-Angestellte steht etwas verloren, weil heute sichtlich unterbeschäftigt, hinter ihrem Informationsschalter. „Oh gosh“ entfährt es ihr, als wir ihr erzählen, daß wir nur mal so von Calais gen Engelland rübergemacht hätten. Drei Monate hartes Training, stöhnt Penny, habe sie hinter sich. Alle Details, auch die kompliziertesten technischen Probleme von „Le Shuttle“. Theoretisch seien alle Angestellten zweisprachig, doch sie selbst sei es nicht, gesteht sie entwaffnend.

Entschädigt werden wir vom englischen Paßkontrolleur. „Alles deutsche Pässe? Alles klar, tschüs!“ – winkt er uns in astreinem Deutsch lässig durch. Das kommt uns gerade recht, denn einer muß mal wieder aufs Klo, und deshalb drängt es uns verschärft zurück in die Röhre. Einige Infos mehr vom „Train Captain“ hätten wir uns schon gewünscht (Uhr umstellen auf die englische oder kontinentale Zeitrechnung, die Lage von der Wetterfront vor Ort) – statt der stupiden Wiederholungen am Fließband und der Kaufhausmusik von „Radio Le Shuttle“. Denn das Channel-Crossing dauert zwar nicht länger als eine Fahrt in der Berliner S-Bahn von Wannsee bis Friedrichstraße, ist aber immerhin eine Reise in ein anderes Land. Robert Zimmer

und Günter Ermlich

Kontakt: Centre d'Information Eurotunnel, BP 46, 62231 Coquelles, Frankreich, Tel.: 0033-21006900 oder Le Shuttle Customer Service Centre, PO Box 300, Cheriton Park, Folkestone, England, Tel.: (0303) 271100.

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