: Entdecker der Langsamkeit
■ Gesichter der Großstadt: Trecker-Becker hat die langsame Bewegung zur Betriebsphilosophie erhoben / Mit sechs Stundenkilometern bis nach Rostock
Trecker-Becker ist Inhaber eines Fuhrunternehmens, das aus dem Geist des Führerscheinentzugs geboren wurde. Weil er im Streit um eine Parklücke seinen Kontrahenten kurzerhand von hinten rammte, verlor der Inhaber eines kleinen LKW-Betriebes die Pappe und führte fortan die Bezeichnung seines Ausweichsgefährts im Namen. Der hat es mittlerweile zu einer Bekanntheit gebracht, die der gewöhnlich motorisierte Fuhrunternehmer Becker schwerlich aus seinem Werbeetat hätte bezahlen können.
Schon zu Beginn der achtziger Jahre war der gebürtige Thüringer als ambitionierter Jungunternehmer im Arbeiter- und Bauernstaat unangenehm aufgefallen und wurde ohne viel Federlesens 1984 im Alter von 25 Jahren in den Westen abgeschoben.
Gleich besorgte er sich einen alten VW-Bus und verdiente bescheidenes erstes Geld durch Kleintransporte im Ruhrgebiet, wo er zunächst in einem Aufnahmelager untergebracht war. Eine eigene Wohnung zu besitzen interessierte ihn nicht, der VW-Bus genügte ihm zum Schlafen.
Nach einem Jahr zog es ihn nach Berlin, wo er mehr Gleichgesinnte für seine ungewöhnliche Lebensweise fand. Dort transportierte Becker nach besagtem Vorfall in der Parklücke hauptsächlich Müll und Schutt durch das noch nicht wiedervereinigte West-Berlin und lebte in einer der ersten Wagenburgen schräg gegenüber vom Tommy- Weißbecker-Haus in der Südlichen Friedrichstadt in Kreuzberg.
Natürlich zog er mit seinem Gefährt – Trecker plus ein bis zwei Anhänger – nicht immer nur positive Aufmerksamkeit auf sich. Besonders eiligen Autofahrern wurde diese Form der Entdeckung der Langsamkeit im fließenden Verkehr zum heftigen Ärgernis. Vogelzeigen, wütendes Geschimpfe und die zahlreich vorgetragene Androhung von Prügeln konnten den eher stoisch veranlagten Becker jedoch nicht davon abbringen, das Berliner Straßenbild auf Dauer um eine bukolische Variante zu bereichern.
Trotz der so demonstrativ zur Schau gestellten Gemächlichkeit mißtrauten auch Berliner Ordnungshüter seinem Willen zur Langsamkeit und zwangen ihn zum Umbau des Getriebes, die seinem Gefährt bis dahin noch eine Überschreitung der gesetzlich vorgeschriebenen Begrenzung von sechs (!) Stundenkilometern erlaubte.
Trecker-Becker zog daraus eine entgegengesetzte Konsequenz: Er vergrößerte seinen Aktionsradius. Heute versetzt er Bauwagen für Baufirmen zwischen Berlin und Rostock, macht Transporte für Privatleute, läßt sich als Gaudi für Kinderfahrten einspannen und hilft, wenn in Berlin eine Wagenburg mal wieder den Platz wechseln muß.
Seine Preise sind bei wachsender Entfernung nicht unbedingt günstig. Zeit ist eben auch Geld, und einen Mann, der bis tief in die Nacht auf der Landstraße vor sich hintuckert, muß man sich leisten können. Dafür nimmt er den Rollheimern, wie sich die Bewohner von Wagenburgen selbst nennen, für seine Dienste wenig Geld beziehungsweise nur Tauschleistungen ab.
Arbeit ist eben nicht gleich Arbeit. Die Trennung von Arbeit und Freizeit ist einem Mann wie Trecker-Becker ohnehin wesensfremd. Mit dem Trecker als Lebensmittelpunkt gibt es immer etwas zu tun, und sei es Pflege und Instandhaltung. Natürlich ist auch mal Schlafen dran, abseits der Landstraßen irgendwo im Wald oder bei Freunden auf dem Weg.
Als wir miteinander telefonieren, tuckert Becker auf der Rückfahrt nach Berlin kurz vorm Ortseingang von Goldberg durch die lausige Winternacht. Seine Frau schläft neben ihm, sie wechseln sich beim Fahren ab. In Rostock hatten sie dann einen Unfall mit einem LKW. Ein paar Wochen haben sie mit den Truckern verbracht, die dort oben an der Ostsee aufs Einschiffen warten, wurden eingeladen und zu ihrer eigenen Verwunderung von manchen der Trucker wie ein Kollege behandelt.
Ob er ein moderner Nomade sei? Trecker-Becker lacht und nuschelt irgend etwas Unverständliches. Das Rauschen in der Leitung ist ziemlich stark. Was? Ich soll ihn doch mal besuchen kommen, draußen in Karow, in seiner Basisstation – wenn er mal da ist. Ulf Mailänder
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen