■ Daumenkino: Und immer wieder geht die Sonne auf
Schauerromane im Kino haben zur Zeit einen enormen Erfolg, doch für seine Schwester, das Melodram, scheint sich kein Mensch mehr zu interessieren. In Ermangelung eines passenden Films sei hier auf ein Buch verwiesen, das sich mit diesem arg vernachlässigten Genre befaßt: Und immer wieder geht die Sonne auf. Texte zum Melodramatischen im Film. In zehn Aufsätzen werden Filme von Sirk, Minnelli u.a. unter die Lupe genommen. Etwas aus der Reihe tanzt Peter Brooks, der überhaupt nicht von Einstellungen sprechen mag, sondern sich lieber mit Rousseau, Balzac und Henry James beschäftigt. Das Melodram ist nach Brooks eine spezifisch moderne Form, nicht einfach nur, weil es von Rousseau erfunden wurde, der 1770 mit „Pygmalion“ erstmals ein Drama mit musikalischer Untermalung schrieb und dieses Melodram nannte, sondern weil das Melodram in einem historischen Kontext stehe, „der präzise mit der französischen Revolution und ihren Nachwehen angegeben werden kann“. Die Revolution liquidierte das traditionell Heilige und seine Repräsentanten. „Das Prinzip der republikanischen Regierung ist die Tugendhaftigkeit oder, wenn es das nicht ist, der Terror“, erklärte Saint Just. Wie im Melodram argumentiert er mit der Logik der ausgeschlossenen Mitte – Tugend oder Terror.
Am Ende der Aufklärung verlangte man wieder nach dem Heiligen, doch konnte die Produktion von Mythen jetzt nur mehr eine individuelle, persönliche Angelegenheit sein. Statt Gott erhob die „Persönlichkeit“ Anspruch auf einen geheiligten Status. Die Magie, das Tabu und die diabolischen Kräfte, die in unserer Welt und in unserem Innern wirken, fanden wieder Anerkennung.
„Wenn er aus dem Refugium seines Arbeitszimmers in die Welt hinaustrat und um sich blickte, sah er einen Ort der Qual, wo räuberische Kreaturen ununterbrochen ihre Klauen in das bebende Fleisch der schutzlosen, dem Untergang geweihten Kinder des Lichts schlug“, beschrieb Theodora Bosanquet, die Sekretärin von Henry James, den melodramatischen Tenor seiner Imagination. Kinder des Lichts oder Ausgeburt der Hölle – wie im Schauerroman geht es auch im Melodram darum, über das Unaussprechliche zu sprechen. Beide glauben sie an das Böse als eine reale Kraft, die stets auszubrechen droht. Doch anders als der Schauerroman glaubt das Melodram auch an ein moralisches Universum, das sich gegen die Schurkerei behaupten kann. Wem dieser Optimismus zur Zeit fehlt, muß sich bis März mit dem Buch trösten. Dann weht mit dem Film „Die Verurteilten“ (mit Tim Robbins) zum ersten Mal seit langem wieder ein Hauch von Melodram in die Kinos. Anja Seeliger
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