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Die Hauptschule hat die Schwindsucht

■ Trotzdem geht in Berlin und Brandenburg der Schulkampf weiter / Die CDU will das dreigliedrige Schulsystem wiederhaben / Das Problem sind die Gymnasien: Sie rauben der Gesamtschule die Besten

Die Krieger sind müde geworden. Aber der Kulturkampf um die Gesamtschule hört nimmer auf. Ist sie nun des Teufels, dieser Mischmasch ohne „Werteerziehung“? Oder ist es vielleicht doch die Hauptschule, deren Bildungsziel Chancenlosigkeit zu heißen scheint? Nun tut sich ein neuer Schauplatz für den fortwährenden Schulkampf auf: Berlin und Brandenburg wollen fusionieren. Da kommt man um die bildungspolitische Gretchenfrage nicht herum, welche Schule es denn sein soll.

Die christlich unionierten Volksparteien in Berlin und Brandenburg kämpfen auf urpreußischem Terrain: Das Rückgrat des „aufgeklärten Absolutismus“ der Hohenzollern war eine wohldosierte Machtzuteilung via Bildung. Aus einem scharf getrennten Schulwesen ging eine kleine Elite Hochgebildeter hervor, die vor allem als Staatsbeamte reüssierten. Die einfache Schule fürs Volk förderte indes die praktischen Begabungen – und stabilisierte die politische Bewußtlosigkeit.

Genau auf diesem Gleis fährt die CDU zurück ins letzte Jahrhundert: Sie will ihr dreigliedriges Schulsystem wiederhaben. „Leistung soll sich wieder lohnen – auch in der Schule“, so begründet es der CDU-Fraktionschef im brandenburgischen Landtag, Peter Wagner. Er wärmt damit die gute alte Ideologie der drei „Begabungstypen“ auf: praktische Talente in die Hauptschule, theoretische ins Gymnasium; für uneindeutige Fälle bleibt die Realschule.

Das anvisierte Ziel steht auch schon im Staatsvertragsentwurf für die Ländervereinigung. Neben den Gesamtschulen, so heißt es dort, solle das gemeinsame Land eine „Vielfalt von Schulen“ gewährleisten. Das suggeriert ein freundliches Nebeneinander von Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien und Gesamtschulen. Alles ist möglich! So ähnlich meint es auch Andreas Moegelin, der Sprecher des Berliner Schulsenators, und zählt die Vielfalt auf: „Die Hauptschule, die Realschule, das Gymnasium, auch das grundständige Gymnasium zählt dazu ...“ – man wartet vergeblich darauf, daß er die Gesamtschule nennen möge. Immerhin paukt ein Drittel der Berliner „Oberschüler“ auf der Gesamtschule, 42.000 junge Leute. „Die denke ich mal stillschweigend mit“, sagt Schulsprecher Moegelin und räsonniert weiter über Lehrvielfalt in der Metropole.

Für Carl-Heinz Evers dürfte es ein Nebeneinander von Gymnasien und Gesamtschulen gar nicht geben. Als Berliner Schulsenator hob er die Gesamtschule in den sechziger Jahren mit aus der Taufe. Sie mache nur Sinn, wenn langsam Lernende und Blitzmerker in einer Schule, in einer Klasse seien. Man müsse die Schnellen motivieren, den Langsameren zu helfen. Dann habe man einen doppelten Effekt: Der Stoff werde aufgenommen, und die jungen Leute lernten, was Mitmenschlichkeit bedeute.

Evers leitet diese Tugend direkt aus dem etwas in Vergessenheit geratenen Zusammenhang zwischen Bildung und Herrschaft ab. Die Aufgabe von Bildung sei es, die Bürger mündig zu machen. Erst Mündigkeit ermögliche demokratische Teilhabe und die Chance, Herrschaft hinterfragen zu können. „Es paßt einigen nicht, daß sie Herrschaft begründen müssen“, meint Evers kämpferisch, aber „wir sind mit der Aufklärung noch nicht am Ende.“ Der alte Herr geht sogar noch einen Schritt weiter. Er begründet eine Abkehr vom vordemokratischen, gegliederten Bildungswesen auch mit der Erfahrung des Nationalsozialismus. „Gerade in der ,Erziehung nach Ausschwitz‘ gewinnt Leistung ihren Sinn und ihre Richtung erst durch Mitmenschlichkeit und Solidarität.“ So schrieb Evers 1993 in einem Brief, als die SPD in der Berliner Großen Koalition mitgeholfen hatte, wieder Gymnasien ab der 5. Klasse einzuführen. Für ihn der Grund, den Genossen nach 48 Jahren die Mitarbeit aufzukündigen. Evers trat aus.

Der Unterricht müsse wieder im Klassenverband stattfinden, den es in der Gesamtschule nicht gebe. Aber nur im Klassenverband finde „Wertevermittlung“ statt. Und darum geht es der bildungspolitischen Sprecherin der Brandenburger CDU, Carola Hartfelder. Aber sie variiert ihren Kollegen Peter Wagner: Sie würde die 250 Brandenburger Gesamtschulen auch bestehen lassen – solange Eltern und Schüler nicht explizit die Hauptschule einklagen.

Aber wer will die Hauptschule? Hauptschule, das heißt pädagogische Tristesse, Gewalt, resignierte Lehrer. Genug Eltern gibt es inzwischen, die ihre Kinder überall hinschicken würden, nur nicht in die Hauptschule. Die Hauptschule hat die Schwindsucht. Gerade zehn Prozent der Berliner Oberschüler besuchen sie noch.

Das eigentliche Problem der Gesamtschulen sind indes die Gymnasien. Das sieht auch Carola Hartfelder so, selbst Lehrerin. Es gebe in Brandenburg 200 Gesamtschulen ohne Abiturzug. Das gehe nicht, denn damit fehle den Gesamtschulen eine wichtige Klientel von Schülern. „Wenn man es richtig machen wollte, müßte man nur Gesamtschulen machen.“ Das klingt nach Evers. Aber Frau Hartfelder ist bei den Christdemokraten, sogar deren brandenburgische Landesvorsitzende. Oder kommen sich die Kulturkämpfer am Ende doch näher? Christian Füller

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