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Endlich berühmt

Der „Vater“ der Abtreibungspille beschreibt seinen langjährigen Kampf um RU 486  ■ Von Ute Sprenger

Henne oder Ei? – die Frage ist, zumindest, was die umstrittene Abtreibungspille RU 486 angeht, beantwortet. Ganz eindeutig stand da nämlich das Huhn am Anfang. Das beschreibt der Entdecker der Abtreibungspille, der französische Hormonforscher Etienne-Emile Beaulieu, in seinem Buch über die verschlungenen Wege seiner Arbeit, das jetzt auch in deutscher Sprache vorliegt. Demnach waren geschlechtsreife Hühner, weil sie fast täglich enorme Mengen von Eiweiß produzieren, ideale Objekte für die Forscher, die in den frühen siebziger Jahren der Wirkung der Geschlechtshormone auf der Spur waren.

Gesucht wurde damals danach, wie Hormonrezeptoren mittels chemischer Substanzen blockiert werden können. Laborhühner, gefüttert mit Hormonen oder Antihormonen, legten mehr oder weniger dicke Eier von unterschiedlicher Qualität und lieferten so direkte Beweise für den Effekt der verwendeten Substanzen. Was anfangs von Beaulieu nur als Grundlagenforschung betrieben wurde, wandelte sich bald zur gezielten Suche nach einer neuen Verhütungstechnik. Welche Kraft Beaulieu dabei antrieb, wird in seinem Buch nur zu offensichtlich: Nachdem Pille und Spirale schon erfolgreich auf den Markt und an die Frauen gebracht worden waren und eine Reihe von Chemikern wie Gregory Pincus und Carl Djerassi als „Väter“ der Pille zu Reichtum und Ehren gelangten, träumte nun auch er davon, mit einem neuartigen Kontrazeptivum ebenfalls in die Annalen der Verhütungsforschung einzugehen.

Ausgiebig beschreibt Beaulieu, dem es ja bekanntlich gelang, seinen Traum wahr werden zu lassen, deshalb nun seinen jahrelangen „Kampf für RU 486“. Gegen die Widerstände in den Vorstandsetagen des französischen Herstellers Roussel-Uclaf und bei der deutschen Hoechst AG, die die Kapitalmehrheit bei Roussel-Uclaf besitzt, gelang es ihm, Gelder für seine Forschungen zu erschließen. Einfach mag das gewiß nicht gewesen sein. Denn beide Unternehmen befürchteten mit der Arbeit an einer Abbruch-Pille in gesellschaftliche Diskussionen um die Abtreibung und damit ins Schußfeld radikaler LebensschützerInnen zu geraten. Tatsächlich auch schickten US-amerikanische AbtreibungsgegnerInnen in den achtziger Jahren Drohbriefe an die französische Botschaft in Washington und kündigten den Boykott französischer Waren an. Einen Ausweg bot damals die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Unter ihrer Schirmherrschaft wurden ab 1982 in fünfzehn Ländern klinische Tests mit RU 486 durchgeführt. Im Gegenzug dazu verpflichtete sich Roussel-Uclaf in einem Abkommen mit der WHO, das Medikament nach der Testphase in Ländern des Südens – „voraussichtlich den wichtigsten Kunden“, wie Beaulieu meint – mit einem Preisnachlaß anzubieten.

Wenngleich Beaulieu in seinem Buch pathetisch bekennt: „Ich bin ein Arzt, der sich von dem Wunsch leiten läßt, den Menschen zu helfen“, so überwiegt doch der Eindruck, daß hier einer jener Wissenschaftler zur Feder gegriffen hat, der seine Eitelkeit nur schwer zu bändigen weiß. Über seine Arbeiten, die vermutlich fast immer – wie auch sonst in der Forschung üblich – in einem Team mit mehreren Wissenschaftlern stattfanden, redet er am liebsten in der ersten Person Singular. Mit seinem ungebremsten Darstellungsdrang räumt er auch mit dem Mythos auf, RU 486 sei entwickelt worden, um den Frauen eine größere Wahlfreiheit in Verhütungsfragen zu bieten. Zwar gibt auch Beaulieu sich frauenfreundlich und zitiert den französischen Gesundheitsminister, der das Medikament einmal als „das moralische Eigentum der Frauen“ bezeichnet hatte. Wesentlicher für die Entwicklung dieser chemischen Abtreibungsmethode war aber wohl die Legende von der Kontrolle des Bevölkerungszuwachses in der Dritten Welt als „Überlebensfrage“ für den Planeten. So kommt der Hormonforscher ermüdend oft darauf zu sprechen, wie segensreich die Entdeckung von RU 486 doch besonders für Frauen in Ländern des Südens sei. Einen Beleg für diese These bleibt er jedoch bis zum Schluß schuldig.

In Frankreich, wo RU 486 seit 1988 zum Schwangerschaftsabbruch in autorisierten Kliniken zugelassen ist und wo das Medikament seither an mehr als 100.000 Frauen angewandt wurde, steht ein ausgefeilter Kontrollmechanismus mit vier Konsultationen im Zeitraum von 14 Tagen, mit Notfalltelefon und Nachuntersuchung zur Verfügung. In den meisten Ländern des Südens dagegen mangelt es an der medizinischen Versorgung und der Infrastruktur, die für den Einsatz dieser Verhütungsmethode notwendig ist.

Dennoch resümiert Beaulieu sein „Lebens“-Werk: „Die Bevölkerungsexplosion wird für die gesamte Menschheit mehr und mehr zu einer existentiellen Bedrohung, der man nur mit neuen Konzepten der Geburtenkontrolle entgegentreten kann. Hierbei könnte meine Entdeckung einen wichtigen Beitrag leisten.“

Etienne-Emile Beaulieu: „RU 486 – Die Abtreibungspille“, Medizinische und ethische Fragen, Springer Verlag, Heidelberg, 1994, 159 Seiten, 29,80 DM

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