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OSZE-Delegation im Bombenhagel von Grosny

■ Heftige russische Angriffe auf die tschetschenische Hauptstadt / Dudajew droht / Kinkel lernt dazu: Jelzin sei in Gefahr, den Ruf des Demokraten zu verlieren

Moskau/Argun (AFP) – Trotz der Ankunft einer Beobachterdelegation der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE, früher KSZE) hat die russische Armee gestern ihre Artillerieangriffe auf die tschetschenische Hauptstadt Grosny fortgesetzt. Der tschetschenische Vizepräsident Selimchan Jandarbijew sagte: „Die russische Armee kontrolliert nur ein Drittel von Grosny.“ Tschetschenen hätten, so die tschetschenische Regierung, die Russen bei einem wichtigen Militärstützpunkt in Grosny und in der Nähe des Militärflughafens Chankala angegriffen. Die russische Luftwaffe hätte zudem ihre Bombardements von Dörfern im Osten Tschetscheniens verstärkt.

Die OSZE-Delegation wollte gestern mit Bürgern Grosnys Gespräche führen, nachdem sie am Samstag in Snamenskoje, nordwestlich von Grosny, Vertreter der von Moskau unterstützten tschetschenischen Opposition getroffen hatte. Ein Treffen mit dem tschetschenischen Präsidenten Dschochar Dudajew galt als wenig wahrscheinlich.

Dudajew drohte derweil mit der Ausweitung des Kriegs auf russische Städte. „Kein Panzer wird Moskau schützen“, meinte er in einem Telefoninterview mit der Agentur Interfax. Es seien „intensive Vorbereitungen im Gange, die militärischen Operationen auf das Territorium der Russischen Föderation zu bringen“.

Der russische Menschenrechtsbeauftragte Sergej Kowaljow erklärte unterdessen seinen Austritt aus der von Jelzin gebildeten Kommission zur Überwachung der Menschenrechte in Tschetschenien. Die Kommission, die von Justizminister Walentin Kowaljow geleitet wird, habe keinen seiner Vorschläge angenommen, sagte Sergej Kowaljow.

Bundesaußenminister Klaus Kinkel sagte im Deutschlandfunk, die Bundesrepublik und der Westen könnten nach dem Tschetschenien-Krieg im Verhältnis zu Rußland nicht mehr einfach zur Tagespolitik übergehen. Der russische Präsident Boris Jelzin habe sich in diesem Konflikt auf eine „sehr schiefe Bahn“ begeben und laufe Gefahr, das ihm anhaftende Bild eines Demokraten zu verlieren. „Ich glaube, daß die russische Regierung und insbesondere auch Boris Jelzin erkannt haben, daß das Bild Rußlands nach draußen eine verheerende Entwicklung genommen hat“, meinte Kinkel und fügte hinzu: „Es wird nach Tschetschenien in vielem viel, viel schwerer sein, als es vorher war in den bilateralen, multilateralen Beziehungen.“ Jelzin müsse aber die Chance gegeben werden, zu demokratischen Verhältnissen zurückzukehren.

Siehe auch Seite 12

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