Weit und breit kein Joe Namath

■ Die San Francisco 49ers gewannen in Miami mit 49:26 erwartungsgemäß Super Bowl XXIX des American Football gegen die überforderten San Diego Chargers

Berlin (taz/dpa) – Wenn es in der Woche vor Super Bowl XXIX um die Chancen der San Diego Chargers gegen die offensichtlich übermächtigen San Francisco 49ers ging, dann fielen zwar gelegentlich auch die Namen des Linebackers Junior Seau oder des Running Back Natrone Means, am meisten wurde aber eine Person bemüht, die ihren Wurfarm längst in den wohlverdienten Ruhestand versetzt hat: Joe Namath, der vor 26 Jahren maßgeblich an der bisher größten Sensation im American Football beteiligt war. Damals gingen die New York Jets des langhaarigen Quarterbacks als absolute Underdogs in die Super Bowl gegen die Baltimore Colts, die Wetten pendelten sich bei einer Niederlage mit 17 Punkten Unterschied ein. Namath prophezeite munter einen Sieg, erntete allgemeines Hohngelächter und führte sein Team anschließend zu einem komfortablen 16:7-Erfolg, von dem sich Baltimore bis heute nicht erholt hat.

Mehr als die Namath-Saga fiel den Auguren angesichts der Chargers, denen die Buchmacher am Ende gar ein 20-Punkte-Debakel vorhersagten, wahrhaftig nicht ein. Auf der einen Seite die brillante 49ers Offensive mit dem Joe-Montana-Nachfolger Steve Young, wertvollster Spieler der Saison, als Quarterback, dem Touchdown- Rekordhalter der NFL, Jerry Rice, als Fänger, und dem fulminanten Running Back Ricky Watters; dazu die starke Defensive mit Linebacker Ken Norton jr. und Cornerback Deion Sanders, der so viele Pässe abfängt, daß er sich in manchen Spielen schrecklich langweilt, weil niemand wagt, den Ball in seine Richtung zu werfen. Auf der anderen Seite mit Stan Humphries ein eher durchschnittlicher Quarterback und eine Paß- Verteidigung, die in der NFL-Saison nur auf Platz 22 landete.

Die 49ers schworen dennoch, den Gegner nicht zu unterschätzen. Ken Norton, dessen gleichnamiger Vater einen ähnlichen Beruf ausübte, nämlich Boxer, und Muhammad Ali einmal den Kiefer brach, warnte vor allem vor Natrone Means: „Wie können sie uns zu so großen Favoriten machen, wenn du solch einen Typen Leute auf dem Spielfeld herumzerren siehst.“ Und Ricky Watters mahnte mit einem Vergleich, der wiederum Norton sr. gefallen dürfte: „Du kannst der größte Schwergewichtsboxer aller Zeiten sein, aber jedesmal, wenn du den Ring betrittst, kannst du k.o. gehen.“

Alle Unkenrufe waren jedoch überflüssig. San Francisco tat vor 74.169 Zuschauern im Joe-Robbie-Stadion von Miami, was alle erwartet hatten. Steve Young sprang endgültig aus dem Montana-Schatten, spielte überragend und warf sechs Touchdown-Pässe – neuer Super-Bowl-Rekord. 24 seiner 36 Pässe kamen an, am Ende wurde der 33jährige zum besten Spieler des Matches gewählt. Drei Touchdowns schaffte Jerry Rice, drei steuerte Ricky Watters bei und einen fügte der Rookie Wiliam Floyd hinzu. Es war genau, wie Jerry Rice vorher analysiert hatte. „Wir haben so viele Leute, die aus so vielen verschiedenen Richtungen kommen, daß es nahezu unmöglich ist, uns zu stoppen.“

Da San Diego immerhin ebenfalls 26 Punkte anhäufte, eine Zahl, die zum Gewinn der meisten Matches reicht, wurde es mit 75 Zählern auch das punktreichste Spiel der Super-Bowl-Geschichte, was den Chargers allerdings wenig half. Das Endresultat von 49:26 übertraf mit seiner Gewinnmarge von 23 Punkten sogar die schwarzen Voraussagen der Buchmacher. „Wir haben unsere Mission erfüllt“, meldete Steve Young martialisch und fügte hinzu: „Die Emotionen sind unbeschreiblich.“

Und während San Francisco, „das Mekka des American Football“ (Young-Manager Steinberg), begann, den fünften Super-Bowl- Gewinn (Rekord!) gebührend zu feiern, Präsident Bill Clinton („Es gibt in ganz Amerika keinen Fan, der euch den Erfolg nicht gönnt“) telefonisch gratulierte, rätselte San Diego-Coach Bobby Ross noch über das, was sonst alle gesehen hatten: „Ich war enttäuscht von uns, weiß aber nicht, was los war.“ Los war: Weit und breit kein Joe Namath in Sicht. Matti Lieske