: Nichtraucher in gelbverfärbten Ecken
„C'est du cinéma“ – „alles nur Kino“, winken viele Franzosen ab, wenn es um die Einhaltung des 1992 verabschiedeten Anti-Tabak-Gesetzes geht / Es darf weiter geraucht werden ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Die durchgestrichene Zigarette in dem rotumrandeten weißen Kreis ist weithin sichtbar. Sie prangt in Augenhöhe auf der Mitte des Bahnsteigs der Metro République – direkt über der Plastikbank, auf der die Dame mit dem hellblauen Schimmer im weißen Haar genüßlich ihre „Marlboro“ inhaliert und auf die Bahn nach Vincennes wartet.
In den Pariser U-Bahn-Stationen qualmt es zu jeder Tageszeit. Zu Füßen der Sitzenden bedecken Kippen den Boden, und zwischen den dicht gedrängt wartenden Passagieren trüben Tabakschwaden die Luft. Niemand scheint sich daran zu stören. Nicht einmal das Reinigungspersonal und die gelegentlich scharenweise auftretenden Kontrolleure weisen darauf hin, daß das Rauchen in der Metro verboten ist.
Seit 1992 lebt Frankreich mit dem rigidesten Anti-Tabak-Gesetz der Europäischen Union. Das nach seinem Begründer, dem seinerzeitigen sozialistischen Gesundheitsminister Claude Evin, benannte „Loi Evin“ verbietet jede Art von Werbung und Sponsoring für Tabakwaren und stellt das Rauchen in öffentlichen Räumen unter Strafe. Es verpflichtet die Patrons dazu, ihren Angestellten rauchfreie Büros zur Verfügung zu stellen, und die Kneipiers, ihre rauchenden Besucher in eigens gekennzeichnete Ecken zu verbannen. Bei Verstößen drohen Geldstrafen.
Das diskrete Schildchen „Nichtraucherzone“ hielt Einzug bis in Frankreichs tiefgelb verfärbte Etablissements. Auf Tischen aufgestellt oder an großen Nägeln an die Wand gehängt, markiert es den Einzug einer neuen Frischluft-Ära. Doch Frankreich wäre sich untreu geworden, wenn es nicht auch für dieses Gesetz ein freundliches Arrangement gäbe. Rauchende Kunden haben die Wahl zwischen verschiedenen Reaktionen auf das Schildchen. Sie können es schlicht ignorieren, entfernen, oder – so sie ein wenig legalistisch veranlagt sind – den Kellner um Hilfe bitten. „Ach“, wird der in der Regel sagen, „c'est du cinéma“ – das ist alles nur Kino – und das störende Schildchen wegnehmen.
Seit dem Inkrafttreten des „Loi Evin“ herrscht bei französischen Kurzstreckenflügen unter zwei Stunden generelles Rauchverbot, und in den Zügen gibt es ungleich mehr Nichtraucherabteile als je zuvor.
Gestiegen ist auch das Selbstbewußtsein der Passivraucher in den Betrieben. Galt für sie zuvor das Gebot der Zurückhaltung, können sie heute den Chef, die Gewerkschaft, die Nichtraucherorganisationen oder sogar die Betriebspolizei um Unterstützung im Kampf gegen ihre rauchenden Kollegen bitten.
„Seit es das Gesetz gibt, ist die Stimmung im Büro schlechter geworden“, sagt Marie-Agnès. Schon vorher fühlten sie und andere Nichtraucher sich durch Qualm und Tabakgeruch gestört. Früher rissen sie – wenn es ganz schlimm wurde – demonstrativ das Fenster auf oder baten um „ein wenig Rücksicht“. Heute berufen sie sich auf das Gesetz und sagen auch schon mal nein. Marie-Agnès: „Die Toleranz hat nachgelassen.“
Ob das Gesetz die Tabakabhängigkeit der Franzosen tatsächlich verringert hat, ist umstritten. Befürworter wie Gegner haben umfassendes statistisches Material erarbeitet, um ihre Thesen zu belegen. Pascal Melihan-Cheinin von der halbstaatlichen Nichtraucherorganisation „Comité national contre le Tabagisme“ ist von dem Erfolg des „Loi Evin“ überzeugt. Als Beweis führt er den um rund fünf Prozent gesunkenen Zigarettenverkauf an. Lobend erwähnt er auch, daß Glimmstengel aus dem öffentlichen Raum zurückgedrängt worden seien. Und wenn es immer noch zahlreiche Restaurants ohne Nichtraucherzonen und verqualmte Metrostationen und Büros gebe, seien dafür der französische Individualismus und die Toleranz verantwortlich. Im Vergleich mit anderen Ländern sei der französische Tabakkonsum ohnehin relativ niedrig, betont er. Schließlich rauche der Durchschnittsmensch in den Vereinigten Staaten jährlich 2.400 Zigaretten, während es in Frankreich nur 1.686 seien.
Die Tabakindustrie hingegen spricht von dem völligen Mißerfolg des „Loi Evin“. Jean-Paul Truchot vom „Centre de Documentation et Information sur le Tabac“ erklärt den Rückgang des Zigarettenkonsums mit den vier Steuererhöhungen, die Tabak seit 1992 um sechzig Prozent verteuerten. Im Vergleich zu europäischen Ländern ohne Anti-Tabak-Gesetze rauchten die Franzosen heute sogar mehr als vor ein paar Jahren, erklärt er. Grundsätzlich hätten Werbeverbote „nicht den geringsten Einfluß auf das Rauchen“, das zeige die Entwicklung in der ehemaligen DDR, wo auch ohne Werbung mehr geraucht wurde als in der Bundesrepublik Deutschland, und in China, wo trotz wenig Werbung der Tabakkonsum stetig steige. Die Tabakindustrie findet das Werbeverbot rundum schädlich: Es schade dem Verbraucher, der sich nicht mehr informieren könne, den Medien, die keine Anzeigen mehr bekämen, und der Gesundheit, „weil die neuen leichten Marken nicht bekannt gemacht werden können“. Das Rauchverbot im öffentlichen Raum findet sie schlicht überflüssig. Truchot: „Der gesunde Menschenverstand und die Höflichkeit der Franzosen erübrigen Verbote.“
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