: Einfach rechts vorbei
Nostalgisch gerührt feiert die Insel den achtzigsten Geburtstag ihres allerfamosesten Fußballers Sir Stanley Matthews ■ Aus London David Lacey
Kein englischer Fußballer hat die Phantasie des Landes dermaßen lange beschäftigt wie Stanley Matthews. Der berühmteste Rechtsaußen aller Zeiten war 17, als er 1932 sein erstes Liga-Match bestritt – und 50, als er 1965 seinen Abschied nahm.
Während eines beträchtlichen Teils dieser langen Zeit entsprach Matthews, der am heutigen Mittwoch 80 wird, jenem Ideal, dem jeder Schuljunge nacheiferte. Er hatte alle technischen Fertigkeiten, war schnell, aber was noch viel wichtiger war: Er hatte die geschickten Bewegungen eines Zauberes, hatte das Auge des Illusionisten, er konnte das möglich machen, was ganz offensichtlich unmöglich schien. Mit den flatternden Hosen um seine O-Beine verkörperte er über drei Dekaden das Beste des englischen Fußballs. Nicht ein einziges Mal ist er in dieser Zeit übrigens verwarnt worden, von einem Platzverweis gar nicht zu reden: Es passierte tatsächlich sehr selten, daß Matthews auf dem Platz überhaupt Emotionen zeigte.
30 Jahre lang ging er seinem Geschäft mittels eines leichten Trabens nach, das sich bisweilen gar auf das Tempo eines Spaziergängers reduzierte. Von seiner Position am rechten Flügel aus pflegte er den Ball gemächlich auf den Außenverteidiger zuzuführen, dann aber, genau in jenem Moment, wenn der dachte, er hätte ihn, jenen mit einer Bewegung der Schulter auf den falschen Fuß zu stellen und dann auszuspielen mit einer plötzlichen Höchstgeschwindigkeit, die er auch in seinen Vierzigern noch besaß.
J.P.W. Mallalieu, ein Labour- Abgeordneter, der auch Schiedsrichter war, hat ihn in den 60ern einmal brillant beschrieben. „Matthews“, schrieb er, „pflegte das Spielfeld zu betreten, die Schultern gebeugt, den Kopf nach vorn, wie ein Träger, der auf dem Hinweg bereits die Last des Gepäcks fühlt, das man ihn zu holen geheißen hat.“ War er aber einmal in Bewegung, änderte sich das Bild dramatisch. „Haben Sie jemals eine Libelle beobachtet, die mit vibrierenden Flügeln auf der Stelle kreist und dann, offenbar ohne den Gang zu wechseln, in höchster Geschwindigkeit davonschießt?“ Und, fährt Mallalieu fort: „Wie oft habe ich Matthews gesehen, den Ball an den Füßen, von einem aufmerksamen Gegenspieler beschattet? Da ist kein Platz, sich zu bewegen, also kreist Matthews, mit dem ganzen Körper vibrierend, auf der Stelle, während sein Gegenspieler zusieht. Aber plötzlich macht Matthews einen Satz nach rechts, und der Gegenspieler geht mit. Erst Sekunden später sehen wir und auch der Gegenspieler, daß Matthews in Wahrheit nach links geschnellt ist.“ Bilder aus jenem Spiel beweisen, daß Matthews tatsächlich nicht, wie die Legende es will, immer nur rechts, sondern in besonderen Fällen auch einmal links an seinem Mann vorbeiging.
1965 hat die Königin Matthews, kurz bevor er zurücktrat, als ersten aktiven englischen Spieler zum Ritter geschlagen, obwohl er zwischen 1934 und 1957 wegen des Krieges nur 54 „caps“ gewonnen, also Länderspiele gemacht hat.
Geoffrey Green, der renommierte Fußball-Korrespondent der Times, hat Matthews' Genius wie folgt beschrieben: „Er war vielleicht der größte Dribbler, der beste Manipulator am Ball in der Geschichte des Spiels.“ Greens Schlußfolgerung: „Wir dürfen seine Zauberkunststücke nie vergessen, denn wir werden einen wie ihn vermutlich nie mehr zu sehen bekommen.“
„Er war ein Zerstörer von Verteidigungslinien, indem er die Gegenspieler zu sich herauslockte, so nahe heranlockte, wie ein erfahrener Stierkämpfer den Stier heranlockt. Und mit einer Mischung aus Gewandtheit und wohlkalkuliertem Minimalismus entkommt er der Gefahr, nachdem er an anderen Stellen der gegnerischen Verteidigung tödliche Lücken geschaffen hat, die Mitspieler ausnutzen können.“
Genau das war die Essenz von Matthews' Spiel: Ein Vorbereiter war er, kein Vollstrecker. Während seiner langen Karriere hat er keine hundert Tore selbst geschossen. Aber Tausende kamen, um zu sehen, wie er Verteidiger mit seinen Dribbelkünsten ausspielte – die Tore durfte für gewöhnlich Stan Mortensen schießen, sein Partner im Angriff von Blackpool und zeitweise im englischen Team.
30.000 Zuschauer passen in das Stadion von Blackpool, und heute, da es etwas verfallen zum morbiden Charme der wenige Meter entfernten Strandpromenade des Working-class-Ausflugs-und-Urlaubsstädtchens paßt, ist das kein Problem. Den Zweitdivisionär wollen selten mehr als ein paar tausend sehen. Damals aber, in den frühen Fünfzigern, war es andauernd ausverkauft – auswärts spielte der Blackpool F.C. sogar regelmäig vor 50.000 bis 60.000 Zuschauern: So immens war Matthews' Anziehungskraft.
Millionen kannten seinen Namen, aber vergleichsweise wenige haben ihn mehr als ein- oder zweimal spielen sehen. Glücklicherweise jedoch ist sein berühmtester Auftritt von einer Fernsehkamera festgehalten worden, wenn auch nur in verschwommenem Schwarzweiß. Nachdem Blackpool zweimal das Cup-Finale verloren hatte (1948 und 1951), wünschte im Jahre 1953 buchstäblich ein ganzes Land Stan Matthews seine erste Sieger-Medaille. Aber als zwanzig Minuten vor Spielende die Bolton Wanderers komfortabel mit 3:1 führten, schien es, als sei auch die letzte Chance des 38jährigen verpaßt. Dann aber begann der kleine Ernie Taylor in Blackpools Mittelfeld Matthews durch jene Lücke mit Pässen zu versorgen, die sich durch die Verletzung eines Bolton- Spielers aufgetan hatte, in den Tagen, als man Auswechselspieler noch nicht kannte. Mit den aufgewühlten Wembley-Zuschauern im Rücken begann Matthews nun die Verteidigung auseinanderzunehmen, wie nur er es verstand. Blackpool schoß in den verbleibenden Minuten noch drei Tore, und kein anderer als Matthews bereitete in der Nachspielzeit flankend den Siegtreffer vor.
Er ging dann noch einmal zu Stoke City, seinem ohne ihn schwer in Not geratenen Heimatverein. 1961 führte er 46jährig den Klub in die Erste Division zurück. Sein letztes Liga-Match spielte er am 6. Februar 1965 im Alter von 50 Jahren und fünf Tagen.
Dreißig Jahre später macht sich Stan Matthews noch immer jeden Morgen in aller Frühe auf zu einem seiner berühmten Trainingsläufe, die schon während seiner aktiven Zeit seine außerordentliche Fitneß begründeten. Auch heute wird er das tun, bevor er sich zum Ehrenbankett begeben wird, das man in Stoke für ihn organisiert hat.
Prinz Philip, der Herzog von Edingburgh, hat damals zu seinem Abschied im Stadionheft geschrieben, daß „niemand jenen immensen Beitrag hoch genug einschätzen kann, den Stanley Matthews für den Fußball und das sportliche Fairplay in jedem Winkel der Welt geleistet hat“. Das gilt auch heute, dreißig Jahre danach, wie damals.
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