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"Früher waren Lehrer eklig"

■ Schulverweigerer haben eine "letzte Chance": Die "Schule des Lebens"

Hennickendorf (taz) – Klaus* wird abgeschoben. Die Eltern mögen ihn nicht. Mit zwölf Jahren muß er ins Heim. Klaus flüchtet. Später wird er adoptiert. Erster Schulversuch. Ausgebüchst. Zweiter Schulversuch. Geschwänzt. Dritter Versuch. Lehrer beleidigt, Mitschüler erpreßt, Leistung verweigert. Klaus hat Langeweile. Manchmal knackt er Autos. Sein Verhalten ist auffällig, seine Adoptivmutter hilflos. Klaus muß in eine Klinik. „Hirnorganisches Durcheinander“ lautet die Diagnose.

„Die Lehrer“, sagt Klaus heute, „waren eklig und blöd, und der Unterricht war langweilig.“ Dem 15jährigen gehen die Worte leicht über die Lippen. Nervös zuppelt er an seiner Baseballkappe. Dennoch versucht er in der Videoaufzeichnung wie ein Nachrichtensprecher zu wirken. Klaus hat eine vierte Chance bekommen, er besucht mittlerweile die „Schule des Lebens“ in einer alten Villa in Hennickendorf, unweit von Berlin.

Ehemalige Schulaussteiger im Alter von 14 bis 17 Jahren sollen hier zum Schulabschluß motiviert werden. Aus Bonn fließt Geld in das Pilotprojekt, auch das Land Brandenburg beteiligt sich an der Finanzierung. Träger ist das Schulamt der Stadt Strausberg. Daß Journalisten die Meinung von Klaus und zwölf weiteren Jungen nur noch via Videokonserve erhalten, liegt auch an der schlechten Vorarbeit der Springerpresse: „Bild- und BZ-Reporter“, sagt Projektleiter Karlheinz Thimm, „lagen hinter den Gartenbäumen auf der Lauer.“

Seit Oktober nehmen die Jugendlichen, wie sie unisono sagen, ihre „letzte Chance“ wahr, um das Etikett „unbeschulbar“ abzuschütteln. Gleichzeitig soll die alternative Schulform ihnen helfen, ihre Probleme zu bewältigen: Depressionen und Bettnässen gehören dazu, aber auch Beziehungsstörungen. Stures Büffeln hilft da wenig. Auf dem Stundenplan stehen neben Mathe und Deutsch auch „Psychosoziale Gruppenarbeit“ und „Erlebnispädagogik“. Im Keller werkeln die Kids zweimal wöchentlich an ihren Fahrrädern. Paddeln und Skifahren gehören ebnso zum Angebot wie das Abseilen vom Schornstein der Villa. „Da kann es schon mal riskant werden“, sagt Thimm, „wenn die vorlauten Machotypen dem dicken Bettnässer drohen, ihn aus dem Seil knallen zu lassen.“ Auch im Pausenraum sprechen die Fäuste: Peter liegt am Boden, weil Klaus ihm den Ellenbogen in die Rippen gerammt hat. „Arschloch“, ruft ihm Peter hinterher. Jeden Morgen holen die Pädagogen ihre Zöglinge vom Elternhaus ab. In Ausnahmefällen muß der eine oder andere noch geweckt werden. „Manchmal“, weiß Thimm, „schenkt eine Mutter ihrem Sohn abends einen Schnaps ein, um nicht alleine trinken zu müssen.“ Dennoch sei es wichtig, daß die Schüler – im Gegensatz zum Internat – nicht ganz aus ihrer gewohnten Umgebung herausgezogen werden. Zwei vom Jugendamt vermittelte Mädchen hatte Schulleiter Thimm mit der Begründung abgelehnt, sie nicht „den Jungen zum Fraß“ vorwerfen zu wollen. Erst mit der nächsten Gruppe soll in Hennickendorf die Koedukation eingeführt werden.

Bis dahin steht das Projekt auf dem Prüfstand. Bei zwei Jugendlichen mußte Thimm aufgeben. Volker wurde vor die Tür gesetzt, weil er die Mitschüler fortwährend erpreßte hatte. Karl mußte in den Knast. Bevor er nach Hennickendorf kam, hatte er über 400 Autos geknackt. Auch die „Schule des Lebens“ feite ihn nicht vor weiteren nächtlichen Diebeszügen; Mitschüler versuchte er zum Mitmachen zu motivieren.

Im Gegensatz zum traditionellen Unterricht garantiert die „Schule des Lebens“ Intensivbetreuung in kleinen Gruppen. Damit soll die mindere Lernfähigkeit der ehemaligen Schulschwänzer ausgeglichen werden. „Ich habe das Zeug zum Abschluß“, sagt Klaus im Video, „aber oft will ich mich einfach nicht anstrengen. Mit den Lehrern hier kann ich über alles sprechen. Sie wollen uns durchbringen.“ Neben konstruktiver Kritik werden die Schüler stets aufs neue motiviert, wie die „Lernentwicklungsberichte“ zeigen. Klaus' Papier liest sich wie ein Horoskop: „Deine Unpünktlichkeit strengt uns an. Zu oft muß man Dich suchen, Dir hinterherlaufen. Du bist schulisch intelligent. Wieso hinderst Du Dich, erfolgreich zu sein? Dein altes Repertoire ist bei uns nicht nötig. Wir wollen Dich hier halten.“ Thomas Niederberghaus

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