: Der Film zur Damenbinde Tschaikowsky entschlackt
■ Ausbaufähig: Kammermusik-Reihe im Vegesacker KITO
Das ist der Stoff, aus dem für Orchestermusiker die Träume gemacht sind: Kammermusik. Schließlich geht es im Streichquartett - will man dem alten Geheimrat Johann Wolfgang Goethe noch ein letztes Mal Glauben schenken - nur darum, daß sich vier Leute in „vernünftiger Weise unterhalten“. Das klingt einfacher als es ist, denn es benennt auch gleichzeitig den enormen technischen und geistigen Anspruch, der mit der Wiedergabe der meisten Werke verbunden ist:.
Nun hat die Deutsche Kammerphilharmonie eine Reihe aufgebaut, die sie im KITO Vegesack präsentieren wird: besser könnte die Veranstaltungs- und Ortswahl kaum sein, denn was Claus Hösselbarth dort in den letzten Jahren an Kontinuität und Qualität aufgebaut hat, grenzt schon an ein kleines Wunder. Umgekehrt sichern auch die KammerphilharmonikerInnen der Vegesacker Reihe ein solides Grundniveau, so unterschiedlich die einzelnen Konzerte auch ausfallen mögen.
Hoffentlich hält der unglückliche Faltzettel der Reihe nicht HörerInnen ab: er enthält keine nützlichen Informationen. Da sind nur InterpretInnen ohne ihre Instrumente aufgezählt und dann die Komponisten. Geht die Kammerphilharmonie davon aus, daß alle Namen einschließlich der Instrumente dem Publikum bekannt sind? Wie wäre es mit etwas mehr Details, daß dadurch Erwartungen geweckt werden können.
Jetzt also im ersten Konzert: Klaviertrio, seltene und beliebte Gattung. Diesmal nur ein Drittel Kammerphilharmonie: der Cellist Michael Müller. Die beiden Gäste waren der russische Geiger Timofei Bekassow und der Pianist Oleg Polianskij. Sie hatten sich mit der Wiedergabe der Klaviertrios von Peter Tschaikowsky und Dimitri Schostakowitsch eine Riesenaufgabe gestellt: jedes Werk dauert eine dreiviertel Stunde, was bedeutet, daß über die technische Bewältigung hinaus eine stringente Konzeption vorliegen muß.
Dies gilt besonders für das 1882 entstandene Werk von Tschaikowski, der eine Menge Stile unterzubringen weiß: Variation, Fuge, Lied, orchestraler und kammermusikalischer Stil. Damit hat er sich 1921 von Paul Bekker das bis heute für viele gültige Urteil „europäischer Salonrusse“ eingeheimst. Diese Brüche interpretatorisch zu markieren, die Trauer zwischen Hektik und Verstummen in der ganz bewußten Widersprüchlichkeit zu benennen, wollte den dreien nicht so recht gelingen. Das war wohl auch der Grund, warum sie die Fuge nicht spielten (dies ist allerdings autorisiert von Tschaikowsky). Die Ton des Geigers war häufig flach, hatte wenig Substanz und war in virtuosen hohen Lagen immer etwas „daneben“. Der Pianist gefiel zwar durch seinen Ansatz eines entschlackten Spiels, konnte aber weder große Bögen gestalten noch hatte er ausreichend Anschlagsnuancen parat, um das große Werk durchzuspannen. Michael Müller überzeugte noch am meisten, bildete ein sensibles und verläßliches Zentrum.
Man kann sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen, daß Dimitri Schostakowitsch 1948, nachdem er Ende der dreißiger Jahre gerade seine öffentliche Anerkennung zurückgewonnen hatte, ein zweites Mal sich den Gesetzen der Partei unterwarf, die alles westliche und dekadente in der Musik auslöschen wollte. Man kann es schon einmal gar nach dem 1944 geschriebenen Klaviertrio op. 67, das einen individuellen folkloristischen Gestus zeigt: fahl und leise das traurige Flageolett-Thema, wild und sarkastisch das Scherzo, ersterbend und in lichtem E-Dur enden der Schluß. In der Interpretation bestand auch hier das Problem einer zu wenig souveränen Disposition, vielleicht fehlten ein bis zwei Proben. Für den Anfang ein gut besuchter, aber nicht ganz überzeugender Abend.
Ute Schalz-Laurenze
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