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Mit Schirm & ChiffreAls das Warten noch geholfen hat

■ Schöner lesenden denkenden Menschen kommen die Tränen – ein wehmütiger Abschied von WARTsUP!

Und noch einmal wollen wir uns hier um ein Druckerzeugnis kümmern. Diesmal in echter Trauer. Denn WARTsUP!, das bunte Monatsblatt vom Prenzlauer Berg, ist am Ende. Nach fünf Jahren hat die „Pusteblume unter den Fanzines“ (Harald Fricke) ihr Erscheinen eingestellt. Das ist, mit Verlaub, jammerschade. Das letzte Heft (Nummer 16) widmet sich ganz dem finalen Thema. „Das Ende ist noch immer abzusehen, von Anfang an“ (Marly Riemer im Editorial).

Den Anfang machte WARTsUP! irgendwann in den Nach- Mauerfall-Wirrnissen Winter 89/90. Irgendwie fanden sich damals mehrere Dutzend Leute zusammen, die allesamt meinten, daß man doch mal was machen müßte. Gesagt, getan, gedruckt. Das erste WARTsUP! erschien, damals noch mit Volxbildungsambitionen als „Die definitiv letzte Zeitschrift für denkende Menschen“. (Lustiger ist da schon, daß WARZAB zu DDR- Zeiten der Name für ein probates Mittelchen zur Entfernung von Hühneraugen war.)

Wie auch immer, die ersten Nummern der WARTsUP! waren von einem allumfassenden journalistischen Anspruch getragen: Berichte aus der Hausbesetzerszene erschienen neben einer Studie über den Sextourismus. Private Zeugnisse der Ostbefindlichkeit begleiteten einen instruktiven Artikel über die Fugendetails beim Wartburg 353. Dem allen beigestellt waren zartgedrechselte Gedichte aus der heimischen Produktion und die Arbeiten so geschätzter Grafik- und Comic-Künstler wie Fickelscherer, OL und CX Huth.

Ab Nummer 9 (Winter 92) wurde dann alles ganz anders. Durch die Einstellung des Postzeitungsvertriebes (ein DDR- Relikt, das den Blättern eine Mindestabnahme garantiert hatte) kam WARTsUP! in Geldnot. Von dem einstigen Redaktionskollektiv war noch ein harter Kern übriggeblieben. Und der konzipierte WARTsUP! nun zu einer Literaturzeitschrift um. „Wir hatten die Schnauze voll von den ernsthaften Themen“ (Autorin und Layouterin Karoline Bofinger). Jede Ausgabe mit dem programmatischen Untertitel „Schöner Lesen“ sollte fortan ein Motto haben, um das sich die literarischen und grafischen Arbeiten rankten.

Und in dieser Zeit entstanden die schönsten Ausgaben. Ein Heft über „Das Reisen“, eins über „Schlechte Laune“ und die legendäre Nr. 14 „Als ich 14 war“. Jedes davon ein kleines papiergewordenes Wunderwerk, das man vorzugsweise mit einem Sessel um die Ohren und bei einem Heißgetränk öffnete. Die endlosen Geschichten der Leonore Blievernicht, Karoline Bofingers Foto-Romane, Bärnd Schmuckers Nettmann-Folgen, Fickelscherers Titelblätter und Micha Uszinskis Satzkünste bescherten glückliche Lesestunden.

Schluß. Aus. Vorbei. Nummer 16 war die letzte Ausgabe. Und selbst davon gab's nur noch rund 1.000 Stück (in besseren Zeiten hatte die Auflage mal beim Zehnfachen gelegen). Neben dem Blattmachen blieb die ewige Mühsal, das Geld für die nächste Nummer aufzutreiben. „Irgendwann hatten wir da keine Lust mehr drauf“ (Micha Uszinski). Kann man irgendwie auch verstehen. Die WARTsUP!-Leute wollen jetzt mal was anderes machen: ein Buch, einen Film oder vielleicht doch noch mal eine Zeitung. WARTEN wirs UP.

P.S.: Ostforscher-, PapiersammlerInnen und Bibliophile aufgemerkt! Wenn Ihr nicht zu den Glücklichen zählt, die alle Ausgaben der WARTsUP! ihr eigen nennen können, so ist noch nicht alles verloren: Für 5 Mark gibt's fast jedes der 16 Heftchen in der Comicbibliothek, Tucholskystraße 32, 10117 Berlin. Bestellfaxofon: 323 98 62. Martin Muser

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