: Lauschangriff auf die Berliner PDS
■ Für Diepgen „in keiner Weise sensationell“: Kommunisten werden jetzt heimlich überwacht
Berlin (taz) – Berlins staatliche Schnüffler werden von der Leine gelassen: Eberhard Diepgen (CDU), Regierender Bürgermeister, kündigte gestern die „nachrichtendienstliche Überwachung linksextremistischer Gruppen“ in der Berliner PDS an. Geheimdienstler dürfen sich ab demnächst bei der Kommunistischen Plattform (KPF), der AG Autonome, der AG Junge GenossInnen und dem ebenfalls in der Partei vertretenen Bund Westdeutscher Kommunisten (BWK) als Undercoveragenten einschleusen, deren Aktivitäten heimlich auf Video- und Audio- Tape bannen, auf Antrag Telefone überwachen sowie Briefe öffnen, lesen und wieder zukleben. Berlin ist nach Sachsen das zweite Bundesland, das seine Schlapphüte auf eine ausgesuchte Gruppe von PDS-Mitgliedern ansetzt. Als einziges Bundesland geht Bayern einen Schritt weiter: Kommunisten in Lederhosen scheinen derart gefährlich zu sein, daß Geheimdienstler den gesamten Landesverband der PDS überwachen.
Diepgen begründete seinen Schritt gestern vor dem Verfassungsschutzausschuß des Abgeordnetenhauses damit, daß das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) nach vierjähriger Beobachtung Strömungen der PDS als „linksextremistisch“ eingestuft habe. Ein Ergebnis, das „in keiner Weise sensationell“ sei, räumte der Regierende angesichts der Tatsache ein, daß das LfV bereits im Jahresbericht 1993 diese Aussage getroffen hat. Der Chef der Großen Koalition begründete das Außerkraftsetzen von Grundrechten wie dem Postgeheimnis vage: „Es könnten Verbindungen zu terroristischen Gruppen festgestellt werden.“ Die Kommunistische Plattform spinne zwar eher Theorien, als Bomben zu basteln, aber die „geschichtliche Erfahrung“ zeige, daß aus einem „ideologischen Milieu“ Terroristen hervorgingen.
PDS-Chef Lothar Bisky warf dem Regierenden vor, keine neuen Erkenntnisse vorgelegt zu haben: „Es geht lediglich um Gesinnung und damit um Gesinnungsschnüffelei.“ Die mitregierende SPD sowie die aus Bündnis 90/Die Grünen, PDS und FDP zusammengesetzte Opposition forderten die Vorlage des LfV-Berichts. Die Bündnisgrüne Renate Künast zeigte sich „beschämt“, „genau fünf Jahre nach dem Sturm auf die Stasi-Zentrale“ den Verfassungsschutz „in Richtung neue Bundesländer“ zu schicken. Rolf-Peter Lange von der FDP hielt die Demokratie „für stark genug“, auch ohne nachrichtendienstliche Mittel verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der PDS zu überleben. Nur die CDU, die den Lauschangriff auf die PDS seit vier Jahren fordert, fühlte sich bestätigt. Der Abgeordnete und Jurist Andreas Gram will bei Fernsehberichten über den Bundesparteitag der PDS am vergangenen Wochenende „ganz offen Schautafeln gesehen“ haben, die „Verbindungen zur terroristischen Szene beweisen“. Auf dem Parteitag wurde Sahra Wagenknecht, Wortführerin der KPF, nicht mehr in den Bundesvorstand gewählt. Dirk Wildt Seiten 4 und 21
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