: Geschätzte Schüsse
■ Wolf Biermanns erfolgloser Versuch, ein Verräter zu sein/ Konzert im Theater
„Wenn Sie von dem ganzen Abend nichts anderes mit nach Hause nehmen, als diesen Satz meines Freundes Robert Havemann“, sagt Wolf Biermann, „dann hat es sich gelohnt“, denken gut 300 Bremer BesucherInnen des Konzertes am Freitag abend im Theater am Goetheplatz weiter und lachen über Havemanns Bonmot: „Wer im Dunkeln rumballert, trifft immer ins Schwarze.“ Doch so einfach macht es sich ein Biermann nicht. Er ist angetreten zum Beweis, daß er drei Stunden lang und ganz allein auch unter grellem Scheinwerferlicht nicht ein einziges Mal vorbeischießt. Mitgebracht hat er dafür ein gutes Dutzend altbewährte Lieder, neue und alte Gedichte und eine bis zur letzten Pointe ausgefeilte Selbstmoderation.
Das Publikum kann da nur staunen – oder stören. Biermann hält es sich mit dem distanzierten „Sie“ vom Hals und läßt es im Dunkeln sitzen. Das Arrangement wirkt. Der Bremer Biermann-Gefolgschaft ist in den Jahren nicht nur die Haarfülle, sondern auch die Lust auf Zwischenrufe verloren gegangen. Nicht aber der Gefallen am Wiederhören von Biermanns schönsten Liedern. Bis zur Zugabe, für die gerade nach den ältesten von ihnen verlangt wird.
Stimme und Gitarre tun auch dem 58jährigen Biermann gelassen und genau ihren Dienst. Der inzwischen mit feinen Preisen dekorierte doppel-deutsche Dichter und Denker hat allen Grund, mit sich zufrieden zu sein. Aber gerade das macht ihn so unzufrieden. Mit allen Mitteln ringt er um Feinde, nennt Gregor Gysi auch im Bremer Theater einen „Verbrecher, kein Arschloch, denn das sagt man doch unter Freunden“ – und alles klatscht. Biermann schimpft sich öffentlich einen doppelten Verräter, „Als Jüngling den Stalinismus, als Mann den Kommunismus“ habe er verraten – und seine Fans applaudieren verständnisvoll.
„Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“, proklamiert er – unverändert seit zehn Jahren. Und wieder klatscht das Publikum. Wohin Biermann auch schießt, überall wird er freundlich empfangen – und mit warmem Applaus verabschiedet, so wie am Freitag in Bremen. Dirk Asendorpf
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