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Schweigend zuschauende Welt

„Alles fließt – Hommage à Dinah Gottlieb“: Eine Ausstellung mit Bildern des jüdischen Malers Youval Yariv im Düsseldorfer Kunstpalast erinnert an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 50 Jahren  ■ Von Volker Dittrich

Der Künstler auf dem Weg zur Arbeit: Das ist Leidenschaft und Begeisterung, Freiheit durch schöpferische Tätigkeit. So sah es van Gogh, und in Analogie zu diesem Selbstbildnis begann der israelische Maler Youval Yariv vor zehn Jahren in Deutschland seinen Zyklus „Hommage à Dinah Gottlieb“.

„Arbeit macht frei!“, das las die junge jüdische Künstlerin aus Prag täglich über dem Eingangstor in Auschwitz auf dem Weg von ihrer Baracke zum Zigeunerlager, wo der berüchtigte Arzt Dr. Mengele mit seinen pseudowissenschaftlichen Versuchen an Zwillingen, Frauen und Kindern die nationalsozialistische Rassentheorie bestätigen wollte.

Der Künstler auf dem Weg zur Arbeit: Van Gogh schreitet auf seinem Porträt durch ein Farbenmeer. Dinah Gottlieb läuft bei Yariv durch Aschgrau und Braun, ihr bleibt in seinem Bild nur das Gelb eines Löwenzahns neben den Bahngleisen, die an einer Rampe enden.

Dinah Gottlieb zeichnete die Opfer Mengeles. Im Lager konnte sie ihr Leben und das ihrer Mutter durch ihre Begabung retten, genau zu zeichnen. 1923 in Brünn geboren, lebte sie in Prag und besuchte dort bis zum Einmarsch der deutschen Truppen in die Tschechoslowakei 18 Monate die Kunsthochschule. 1942 deportierte man sie zusammen mit ihrer Mutter nach Theresienstadt. Dort wurde sie von den SS-Wachmannschaften, die von ihrem zeichnerischen Talent gehört hatten, beauftragt, deren Pferde zu malen.

Von Theresienstadt brachte man sie und viele andere Frauen zu Aufforstungsarbeiten aufs Land. 20jährig wurde Dinah Gottlieb mit ihrer Mutter dann nach Auschwitz deportiert. Dort erkannte sie ein Mithäftling aus Theresienstadt und vermittelte sie an Mengele. Der hatte seine Opfer bisher mit einer Schwarzweißkamera festgehalten und verlangte von der jungen Künstlerin präzise farbige Porträts seiner Menschenversuchen. Nur sieben dieser Porträts blieben erhalten und werden in der Gedenkstätte in Auschwitz gezeigt.

Nach der Befreiung aus der Todesfabrik Auschwitz vor 50 Jahren, die Anlaß für die Ausstellung von Youval Yarivs Werk im Kunstpalast in Düsseldorf ist, verließ Dinah Gottlieb Europa, flüchtete in die USA und zeichnete dort Trickfilmbilder für Walt Disney. So wurde Dinah Gottlieb für Yariv zum Symbol des Überlebens, wenn auch in einer auseinanderdriftenden Welt, deren Kluft Auschwitz und Hollywood repräsentieren. Youval Yariv, 1942 geboren, wuchs im Kibbuz Dafna an der libanesischen Grenze auf. Gegründet 1939 von litauischen, polnischen und einem deutschen Juden, wurden später Überlebende des Holocaust im Kibbuz aufgenommen. Obwohl die Opfer schwiegen und in Ruhe gelassen werden wollten, waren die Spuren ihrer Angst immer gegenwärtig. In der Schule wurden den jungen Israelis die Helden des Aufstands im Warschauer Ghetto als Identifikationsfiguren angeboten. Dinah Gottlieb aber war negativ besetzt und tabu. Menschen, die mit den Nazis, egal wie, kooperiert hatten, waren Überlebende zweiter Klasse, sagt Yariv, Leute, denen man im Israel der siebziger Jahre skeptisch und abweisend begegnete. 1981 verließ Yariv seine Heimat. Neugier trieb ihn nach Deutschland, ins Land der Täter, das für ihn zu einer Feuerprobe bei der künstlerischen Bewältigung wurde.

Nur in seinem ersten großen Gemälde am Anfang des Zyklus werden Leichen, nackte Frauen und Davidstern gezeigt. Danach sucht Yariv nach anderen Sinnbildern, die das nicht Faßbare übertragen. „Golgatha/Masada“, der zweite Teil des Zyklus nach den Dinah-Gottlieb-Bildern: In einem dieser Gemälde stehen auf dem Berg drei große Kreuze, versehen mit Duscharmen. Im Vordergrund Menschenmassen, am Rand noch erkennbar ein Mann in Braun, am Ende nur noch Schädel in Blautönen, davor ein Fließband. Telefonmasten zeigen das Schweigen der zuschauenden Welt. Dinah Gottlieb schreitet, die Zeichenmappe unterm Arm, ins Bild in Richtung der Kreuze. Ihr Schatten auf dem gelben Untergrund reicht bis zur Eisenbahnrampe, die auch Teil eines Verbrennungsofens sein kann, in welchem das Fließband endet. Blau- und Gelbtöne treten in Yarivs Bildern zunehmend in den Vordergrund. Blau und Gelb. Blau wie Blausäure, das Gas und die Vernichtung. Aber Blau ist auch das Symbol Israels, der Gebetmantel blauweiß. Gelb ist die Farbe des von den Nazis zwangsverordneten Davidsterns (im Gegensatz zum blauen Original), der Erniedrigung, der Qualen und zugleich die Farbe der Wärme und Befreiung.

1989 entsteht der dritte Teil des Zyklus: „Zeitgeist – Gaszeit“. Der Künstler malt einen blau-gelb-roten treppenförmigen Regenbogen aus Fässern, der hoch oben vor dem Abgrund endet. Rot, das ist Dioxin. Yariv erweitert sein Thema von der Menschenvernichtung: Durch ein anderes Bild geht Dinah Gottlieb als Schornsteinfegerin mit Gasmaske. Vor den aufgestapelten blauen Fässern mit Nuklearmüll eine Kinderschaukel. Yariv baut das Tor von Auschwitz aus Fässern. Drei Monate, nachdem diese Bilder in einer Ausstellung gezeigt wurden, saßen Israelis in Tel Aviv mit Gasmasken in ihren Häusern und erwarteten die Raketen aus der mit deutscher Hilfe gebauten irakischen Fabrik in Basra.

Im vierten Teil des Zyklus blickt der Betrachter wie durch die Linse einer Kamera auf die großformatigen Gemälde, in deren Mitte wie am Ende eines Filmes „THE END“ steht. Mit den „Deutschen Wochenschauen“ inszenierten die Nazis die Realität. In Hollywood zeichnete Dinah Gottlieb für die idyllische, heitere Welt der Zeichentrickfilme. Während Youval Yariv den gemalten Zugang zur Geschichte des Holocaust sucht, arbeitet Spielberg in Hollywood an seiner filmischen Inszenierung von Auschwitz und bringt Millionen Menschen vor die Leinwand. „THE END“ ist für Yariv auch ein Neuanfang.

Menschenmassen vor dem Brandenburger Tor: Anstatt mit der Quadriga krönt Yariv das deutsche Symbol mit einem Windsack. Der Wind bläst von rechts. Ein weiteres Symbol, das über den Bildern des letzten Teils des Zyklus liegt, sind Strichlisten, nackt in der Landschaft oder als Zaun und auch als Weg, auf dem Dinah Gottlieb mit gesenktem Kopf zur Arbeit geht. Jeder Strich ein namenloses Opfer, nicht nur von Auschwitz, denn schockiert von den aktuellen Fernsehbildern aus den Gefangenenlagern von Bosnien überzieht der Künstler seine neuen Bilder mit diesem primitiven Zählwerk in der Zeit eines hochentwickelten Europa, in dem sogenannte „ethnische Säuberungen“ den Geist Mengeles beschwören. Begonnen hat Yariv vor zehn Jahren mit Porträts, und damit beendet er auch sein großes malerisches Werk. „Erfahrungen“ betitelt er diese kleinformatigen Arbeiten, auf denen Gesichter hinter Strichlisten verborgen bleiben.

Im Ausstellungskatalog erinnert Manfred Schneckenburger an die Verdrängung des Holocaust in Deutschland. Die Bilder Yarivs, schreibt er, bilden eine Gegenposition, die ins Innere einer unheilbaren Passion führe. „Weg von der feierlichen Entsorgung durch Kranzablagen, Betroffenheitsrhetorik und den Usancen des Volkstrauertages, von der Beschränkung auf Staatsbesuch und Jahrestag. An einem konkreten, nicht aus der Geschichte versetzten, dislozierten Ort. Diese Bilder leisten Trauerarbeit als einen permanenten, obsessiven und doch zuverlässigen Prozeß, Malerei als höchstpersönlicher Umgang mit einer kollektiven Erinnerung, nie endendes Fertigwerden mit dem Holocaust.“

Bis 12.2. im Kunstpalast, Ehrenhof, Halle 4/5. Katalog 15 DM (Einführungen: Stephan v. Wiese, Manfred Schneckenburger).

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