: Mein Essen mit Tschechov
Bestimmte Melancholie: „Vanya on 42nd Street“ von Louis Malle im Forum ■ Von Mariam Niroumand
Obwohl die ersten Bilder so lapidar daherkommen, als hätte Malle nur mal eben die „location“ etablieren wollen, stellt sich schon nach wenigen Minuten ein seltsamer Sog ein. Derselbe, der auch damals bei „Mein Essen mit André“ geherrscht hat, auch ein Film, den man sich eigentlich nicht vorstellen konnte von jemandem, der so Opulentes gedreht hat wie „Zazie in der Metro“ oder „Pretty Baby“.
Plötzlich, mitten auf der schmuddeligen 42ndStreet, ist es, als tippe einem wer auf die Schulter: „Sieh mal, da drüben steht dieser Wallace Shawn, da am Hot- dog-Stand, und da ist auch André Gregory, die grübeln wieder über irgendwas.“ Andere kommen dazu, die Spannung steigt, man betritt ein heruntergekommenes Hinterhoftheater, das New Amsterdam-Theater, das bessere Tage gesehen hat, mit Sam Sheppard- Premieren oder Stücken von Richard Goldstein, Eugene O'Neill und wie sie alle einmal hießen. Langsam aber sicher schält sich aus dem Gespräch zwischen den Schauspielern eine Sprachmelodie heraus, die man kennt.
Aber es ist nicht die Erzählweise aus dem „Essen“, es ist – Tschechow. Vier oder fünf Verfilmungen von Tschechows „Onkel Wanja“ soll es zurZeit geben; was immer deren Motiv ist: bei Malles ist es das Aufspüren einer ganz bestimmten Melancholie, derselben, die auch über Woody Alans „Radio Days“ lag und für die Tschechows betrübte Landgäste einfach einen Namen haben.
Eine ungeheure Spannung wächst. Die Akteure sprechen den Text so, als würden sie ihn noch mal nachkosten und als würde er dabei zu neuem Leben erwachen. Doch dies hier ist „nicht verfilmtes Theater“, vielmehr: Ein Schauspieler trifft einen Schauspieler, der Tschechow spielt, die Chemie, die zwischen den beiden entsteht, läßt sich nicht mehr bestimmen oder zuordnen. Die Übergänge sind fließend.
Auf dem Tisch steht ein Pappbecher mit der Aufschrift „I love New York“. Immer stiller wird es, immer intimer, jetzt könnten sie flüstern.
Wie man so ruhig und zugleich so gespannt sein kann? Wanja, der zögernde Intellektuelle, den keiner mehr braucht – hat Luis mal gespürt, daß sich hier eine alte New Yorker Bohème verabschiedet? Wie immer bei Tschechow waren schließlich die Hoffnungsträger weg, hier verschwinden sie einfach im Dunkeln, übrig bleiben Wanja und seine Nichte. „Wei Shass Rest“, sagt sie in die Kamera.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen