: Jeder Jeck ist andersrum
Im Kölner Karneval feiern jetzt auch Schwule und Lesben ihre „Rosa Sitzung“ – mit Hella von Sinnen als Präsidentin im Dauerquasselrausch und Gästin Alice Schwarzer als Pippi Langstrumpf ■ Von Bernd Müllender
„Suleika und die Waschlappen“ heißt die wunderbar schwülstige Sitzungscombo. Die Herren an den Instrumenten sind in frivole Bademäntel gehüllt, deren Frottee-Dekolleté im Laufe des Abends immer tiefer bis unter Brustspitzenpegel rutscht. Inbrünstig und inbrünftig intonieren sie das Lied von den Caprifischern: „Wenn in Kölle mit viel Trara die Session beginnt / Uniformen mit schweren Orden behangen sind / ziehn die Tunten auf hohen Hacken in die Nacht hinaus / und sie werfen mit spitzen Schreien die Netze aus ...“ Und der ganze Saal returniert vollkehlig den Refrain: „Rosa, rosa, rosa sind wir / und wir feiern bis morgens um vier / Schwul, lesbisch, hetero und bi / so jeck wie nie.“
„Ein historischer Moment“ sei gekommen, jubiliert die Sitzungspräsidentin. Hella von Sinnen mit rosa Närrinnenkappe eröffnet die erste schwul-lesbische Karnevalssitzung im Kölner Café-Club Gloria, „eine Show für die liebe Familie“. Statt eines herkömmlichen Elferrates hat sie ein Sixpack, vulgo Sexpack, wie sie sagt, um sich geschart, lauter vorzeigbare Größen der Szene, darunter ihre Partnerin Cornelia Scheel und auch eine, so von Sinnen, nichtlesbische „Quotenhete“.
Kölle aloha!: „Erotik ist ja gern unser Thema“
Statt „Kölle alaaf“ heiße es „Kölle aloha“, Klatschmarsch sei abgeschafft und – im Doppelsinn von Klatschen – durch eine Tuschel- und Tratschhymne ohne Handgebrauch ersetzt: „Hasteschonnjehört – hasteschonnjehört ... Und tschüs.“ Und als Motto des Abends verkündet die laute Hella: „Erotik ist ja gern unser Thema!“ Heftiger, zustimmender Jubel. Und, soviel sei verraten, Sex und Lust und Liebe wurde das wirklich beherr- und befrauschende Thema des Abends.
Auch Alice Schwarzer ist am Donnerstagabend vom Bayenturm herabgestiegen und heftig lachend und jubilierend in das Pantheon der gleichgeschlechtlichen Lustbarkeiten eingeschwebt. Mit einer pinken Flauschboa um die Schultern und zartrosa Schleifchen im seitwärts gezopft abstehenden Blondhaar, die ihr etwas von einer reifen Pippi Langstrumpf geben, nimmt sie am reservierten Promi- Tisch Platz. Die „Fabulösen Thekenschlampen“ toben über die Bühne, bald die „Pinkpomps“ (siehe Foto): eine kurzberockte Tanzformation, männlich, mit durchweg spargeldürren und stachelbeerwadigen Beinchen noch jenseits aller Klischees. „Das Leben ist hart“, sagt danach eine (oder einer?), „aber ich bin die Hertha.“ Schauspieler Georg, der verspricht, in der Lindenstraße bald wieder als homosexuelles Element einzusteigen, huscht als Comboy mit rosa Handschellen vorbei.
Auch das Gloria ist fein herausgeputzt. Rosarot die plüsche Deckendeko, zwei riesige ausladende Lüster verleihen dem Saal würdige Schwülstigkeit. Die Kellner schwirren als zuckersüße Bunnys umher, mit hoch erigierten Hasenlöffeln. Zartrosa gefärbt auch ihre ärmellosen und körperbetonenden Flokati-Kleidchen, wobei die geringelten Schweineschwänzchen am Hasenhintern dem ganzen erst die passende Ironie verleihen.
Die Idee zum SL-Karneval hatte ausgerechnet ein Immi – so heißen in Köln jene nicht im Schlagschatten des Domes Geborenen und später zugezogenen Immigranten. Norbert Sorge aus dem Schwabenland ist der Organisator. Er sagt: „Es gibt eine latente Homosexualität im Karneval. Die ist aber stärkstens tabuisiert. Also dachte ich mir: Mach's rosa und lade die Leute ein.“ Hella quatscht und quatscht und trällert und kreischt und vergißt dabei trommelfellschonend schon mal das Mikrofon. In gnadenloser Liebe zu schmalzigem deutschen Liedgut gehört schon früh am Abend Marianne Rosenbergs „Er“ zu ihr. Hier ist keinerlei Persiflage oder Textparodie vonnöten. Die Schwulenhymne seit Jahren ist im Original doch das Schönste. Erstmals tobt der Saal. Kölle aloha! Kitsch aloha!
Ausdrückliches Ziel der schwulen Festivität ist es, auch Heteros in das rosa Treiben zu integrieren. Im Publikum gibt es sie nur in homöopathischen Dosen, aber auf der Bühne gelingt das vielfältig. Da treten vielumjubelt „de Höhner“ auf und auch die Berufskarnevalistin Marie-Luise Nikuta, die sich seit bald 30 Jahren durch Kölns Prunksitzungen witzelt. Einer, „der sich als einziger im normalen Karneval zu seiner Homosexualität bekennt“ (von Sinnen), trägt sein Programm in Auszügen vor, nur eben wärmer und tuntiger als sonst. Aber halt: Diese Solidaritäts-Auftritte der Karnevals-Immis haben bisweilen Anflüge von Anbiederung. Schale Witzchen in Reihe – Büttenrede genannt – werden nicht besser, wenn sie etwas tuntiger vor rosa Zirkeln vorgetragen werden. Mäßiger Applaus bewies, daß auch das Publikum dies sehr genau spürte.
Nach der Pause kurz vor Mitternacht hat Hella ihren eindrucksvollsten Auftritt: Als Popen-Pantomimin Linda de Sinnen bei einer „Traumhochzeit“-Parodie. Aufwendig mit viel Tüll, Glitter und Pomp herausgeputzte schwule Brautjungfern werfen Brautsträuße ins Publikum, schrill jubilierend balgen sich die Heiratswilligen um die Devotionalien des anstehenden Eheglücks. In einer Ecke knutscht hingebungsvoll eine männliche Nonne mit roten Riesenpumps ihren Lover in Mönchskutte auf Wollsocken in Birkenstock-Sandalen. Ausgelassen singt und schunkelt sich derweil Pippi Schwarzstrumpf samt Begleiterinnentroß wie eine aufgezogene Springmaus in königinliche Stimmung. Alice aloha!
Karneval und Homosexuelle: Einerseits bot die jecke Jahreszeit immer Möglichkeiten des Transvestitendaseins auf Zeit. Die Tunte konnte einmal ganz Tunte sein. Auch im Gloria sind nicht Spießervisagen auf lustig getrimmt, sondern die Schwul-Lesb-Szene hat Schräges und Tuntiges schelmisch und gekonnt bis an die Schmerzgrenze überhöht. Hit ist jener zartlockige Jungmann mit dem enggebändigten Gehänge, das lustvoll lasziv unter seinem sündigem Mieder herausragt. Jeder wahre Jeck ist andersrum. Karneval und Homosexuelle andererseits – da werden im peinlichen Normalkarneval bis heute mit Hingabe billige Witzchen und dummdreiste Zoten auf Kosten der Schwulen und Lesben gemacht. Die stramm-militärische Karnevalsunkultur kennt wenig Liberalität: Noch kürzlich mußte in Düsseldorf der Prinz vorzeitig abdanken, als seine Homosexualität geoutet wurde.
Hella von Sinnen unkte schon vorher, wie die Öffentlichkeit auf die Rosa Sitzung reagieren wird: „Ich bin mir sicher, daß sie sich ihre kleinen diskriminierenden Scherzchen nicht verkneifen wollen.“ Was etwa das Boulevardblatt Express in seiner Premierenkritik gestern andeutete: „Das Kölner Stadtwappen zieren Pimmelchen und Brüste. Das Bühnenbild: große Vaginen, ein Tampon mittendrin. Wenig Witziges. Bei euch hätte man mehr Esprit erwartet. Burleskes. Die Weisheit der Lust. Nicht das ewige Wimmern der Last. Beim ersten Mal, da tat's noch weh.“ Solch Kritik mag ja zum Teil zutreffend sein, aber sie zeigt männlichen Heteroblick auf schwule Lustbarkeiten. Und da klingt sie wie Besserwisserei. Der schwule Jeck ist eben anders. Mit Aloha, nicht Alaaf.
„Schwule sind gar nicht so dumm, nur andersrum“
Dabei bietet die rosa Sitzung doch Selbstironie, gern tief unter die Gürtellinie. Die Damen kokettieren mit der eigenen Molligkeit, die indes auch als Hommage an die Präsidentin interpretiert werden kann. Steve vom Schwulenchor „Triviatas“ trällert über etwas, „das ich“, so von Sinnen, „niemals in den Mund nehmen würde“: von seinem besten Freund, dem Zipfelchen, das es stets zu hüten und zu zärtlich zu lieben gelte. Ein Heinz- Schenk-Imitator hesselt sich tief in den Blauen Bock und lobpreist das Homosexuelle als solches: „Schwule sind gar nicht so dumm – nur eben andersrum ...“ Alohahaha.
Mimin Samy Orfgen spielt derweil als running gag des Abends das Bühnen-Faktotum. Sie gibt den Bühnenhelfer Pepe, der aus dem Spanischen in die kölsche Sitzung geraten ist und mit brillantem deutsch-iberischen Kauderwelsch jenseits des Paella-Olé-Niveaus zündenden Blödsinn im Akkord abliefert. Eine schöne Nummer: „Muchas Dankeschönes“, Señor y Señora Pepe.
Zugegeben: In Einzelfällen erschlossen sich dem heterosexuellen Reporter nicht alle Anspielungen aus dem Fremdufermilieu bis ins letzte Detail. Feststellen muß er aber das weitgehende Fehlen von politischen Beiträgen, von süffisanten Attacken auf die Normalo- Moral, die ganzen Vorurteile über das andere Lager. Vielleicht aber gehört das sexualitätsübergreifend zum Zeitgeist: Auch der Alternativkarneval der Heteros, ob Stunk in Köln oder Strunx in Aachen, neigt mit den Jahren zur Revue, zur Politikarmut, weg vom hemmungslosen Veralbern der Mächtigen.
Über fünf Stunden dauerte der Genuß andersrum rundherum bis zum späten kölschseligen Stimmungsdelirium. Hasteschonnjehört – hasteschonnjehört – In den tiefen Schatten der Nacht schleicht auch Alice wieder zu ihrem Turm zurück. Schon jetzt muß sie sich vorbereiten auf ihre Kamellewürfe am Rosenmontags vom schachbrettgemusterten Alice-Prunkwagen, und sie muß ausschlafen für den nächsten Auftritt. Gestern nachmittag war sie kochend in einer rosa Fernsehsitzung zu sehen: Mit Bio in „Alfredissimo“. Alice gab Zitronenhuhn.
Kölle aloha! Alice aloha! Hellaloha! Und tschüs.
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