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Am Ende steht das Exil

Taslima Nasrins „Scham“ ist in deutscher Übersetzung erschienen. Der Roman, der Nasrin in Lebensgefahr brachte, handelt von einem jener ethnisch-religiösen Konflikte, die die Neue Welt-Unordnung bestimmen  ■ Aus Neu-Delhi Bernard Imhasly

Der Titel ist ein Fluch, das Buch ein Wutausbruch. In sieben Tagen, sagt Taslima Nasrin im Vorwort von „Scham“, habe sie sich die Erzählung vom Leib geschrieben. Der Zorn galt ihrem Land, Bangladesch, das im Dezember 1992 durch eine Gewaltorgie Schlagzeilen machte. In Ayodhya, im benachbarten Indien, hatte ein Mob fanatisierter Hindus eine 400jährige Moschee eingerissen. In Pakistan und Bangladesch kam es darauf zu Vergeltungsaktionen gegen die Hindus, die dort kleine Minderheiten bilden: Tempel wurden entweiht, Geschäfte und Wohnhäuser wurden eingeäschert, und in mehreren Städten kam es zu tätlichen, manchmal tödlichen Angriffen auf bengalische Bürger, deren einziger Fehler es war, der falschen Religion anzugehören.

Nur drei Monate nach den Unruhen erschien das Buch in Bangladesch auf dem Markt. Es wurde, trotz (oder wegen) des bald erlassenen Verbots durch die Regierung, sofort ein Bestseller. Nachdem bekannt wurde, daß eine obskure islamistische Gruppierung in der nordöstlichen Provinzstadt Sylhet ein Kopfgeld auf die Schriftstellerin ausgesetzt hatte, fing die internationale Öffentlichkeit an, sich für Taslima Narin zu interessieren. Die Demonstrationen gegen die Schriftstellerin, die Hetzjagd fanatisierter Muslime und ihre Flucht in den Untergrund addierten sich bald zum „Fall Nasrin“, der weithin im Licht des „Falles Rushdie“ gesehen wurde. Kurz darauf erschien in Indien eine englische Ausgabe.

„Scham“ schildert dreizehn Tage aus dem Leben einer vierköpfigen Hindu-Familie nach dem 6. Dezember 1992: die steigende Angst des älteren Arzt-Ehepaars Dutta in ihrem Heim in Dhaka, als immer schlimmere Nachrichten eintreffen; die Verzweiflung der Tochter Nilanjana, vor allem aber den Gemütszustand des Sohns, Suranjan. Seine Jugendlichkeit, seine politischen Überzeugungen und Kontakte prädestinieren ihn zum Handeln. Statt dessen sinkt er immer tiefer in Passivität, Depression und stumme Wut ab. Schließlich ist es seine Schwester, die ausbricht. Das Heim der Duttas wird später von Vandalen kurz und klein geschlagen. Am Ende steht das Exil – die übriggebliebenen drei beschließen, nach Indien auszuwandern.

„Scham“ ist ein mutiges Buch. Nasrin beläßt es nicht bei pauschalen Anklagen. Sie dokumentiert über Seiten hinweg Details über Lokalitäten und Opfer, sie registriert Zahlen und Zeitpunkte, sie nennt die Angreifer und ihre Waffen. Die politische Brisanz dieses Romans kommt aus seiner Interpretation der Geschehnisse, die im Zeitungsjargon gewöhnlich „blutige Ausschreitungen“ genannt werden. Nasrin sieht sie nicht als spontane Wutreaktion auf die Zerstörung einer Moschee in Indien, vielmehr als Folge der langfristig geplanten Politik fanatischer Muslime in- und außerhalb der Regierung, die aus Bangladesch einen religiösen, totalitären Staat machen wollen. Sie zitiert die Verfassungsänderungen, die die schleichende Islamisierung rechtlich abstützen, sie führt die diskriminierenden Maßnahmen im Erziehungswesen, im öffentlichen Dienst und im Geschäftsleben an, die aus den Hindus im Lauf der Jahre Bürger zweiter Klasse gemacht haben. Die politischen Folgen der Veröffenlichung von „Lajja“ – allein schon der blinde Haß der Fundamentalisten, der Taslima Nasrin entgegenschlug – zeigen, daß hier eine wunde Stelle getroffen wurde.

„Scham“ ist ein glühendes Pamphlet – seine literarischen Qualitäten lassen einige Wünsche offen. Nasrin gelingt es oft nicht, glaubwürdige Figuren darzustellen, sie bleiben, vor allem auch der zentrale Charakter Suranjan, irgendwie statisch, unbeweglich, benommen. Seitenlang laufen seine Zornausbrüche vor dem Leser ab, aber seine inneren Konflikte bleiben hinter den Wortkaskaden verborgen und unentwickelt. Die historischen Abhandlungen entbehren jeder psychologischen Nähe. Sie werden der nächstbesten Person in den Mund gelegt, als sei sie ein sprechendes Lexikon.

Dem Konflikt, der sich in der Hauptfigur herauskristallisiert, geht Nasrin nicht nach. Als sich die Bedrohung dem Haus der Duttas immer mehr nähert, beginnt Suranjan alle Muslime, selbst seine Freunde, zu verdächtigen, schließlich zu hassen. Eines Abends geht er in die Stadt und spricht eine Hure an, fragt nach ihrem Namen, weil er ein Muslim-Mädchen will. Zu Hause vergewaltigt er sie brutal, „aus Rache für das, was sie seiner Schwester angetan hatten“. Hier bricht ein Verhalten auf, dessen Ambivalenz auch für Nasrins Erzählhaltung charakteristisch ist: Der verfolgte Hindu Suranjan nimmt die Züge seiner Verfolger an, deren Haß wird der seine. Auch die Wut Nasrins auf die fanatischen Muslime ihres Landes hat Züge von deren Unerbittlichkeit, und der Text entkommt dieser Zwangsspiegelung nur selten. Es ist symptomatisch, daß „Lajja“ rasch selbst zur Waffe im Kampf der Religionen wurde. Die erste Übersetzung erfolgte ins Hindi, und das Buch erschien als Fortsetzungsroman in einer indischen Wochenzeitung der BJP – jener Partei, die für die Zerstörung der Moschee von Ayodhya mitverantwortlich war.

Es ist zu hoffen, daß die deutsche Übersetzung nicht gleicherweise zu einer antiislamischen Waffe verkommt.

Taslima Nasrin: „Scham“. Roman. Aus dem Bengalischen von Peter K. Lienen. Hoffmann und Campe, 288 Seiten, geb., 36 Mark

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