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Die Pollard-Affäre

■ Motti Lerner, der umstrittenste israelische Theaterautor der Gegenwart, über sein neuestes Stück zur jüngsten Geschichte des Landes, wieder eine Staatsaffäre

Der 46jährige Motti Lerner ist der derzeit wichtigste israelische Dramatiker. Als er Ende letzten Jahres ein Stück über Rudolf Kastner zu einer Fernsehserie umarbeitete und den umstrittenen „jüdischen Schindler“ rehabilitierte, kam es in Israel zu einer aufwühlenden Diskussion. Kastner verhandelte mit Eichmann, rettete in Ungarn mehr als tausend Juden, war aber in Israel als Kollaborateur verfemt und wurde 1958 von einem rechtsradikalen Fanatiker ermordet (siehe taz vom 16.7.94). Auch in seinem neuesten Stück thematisiert Motti Lerner einen heiklen Punkt der jüngsten israelischen Geschichte. Es geht um den amerikanischen Juden Pollard, der für den israelischen Geheimdienst spioniert hat und heute eine lebenslängliche Strafe in einem US- Gefängnis absitzt. Das Stück, das gerade in Tel Aviv uraufgeführt wurde, sorgte schon im Vorfeld für heftige Aufregung. Unser Autor sprach kurz vor der Premiere mit dem Dramatiker.

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taz: Wer ist Pollard, und warum reagiert man in Israel so empfindlich, wenn sein Name fällt?

Motti Lerner: Pollard war Offizier der amerikanischen Marine und gab an Israel Informationen über arabische Terrororganisationen weiter, die die Amerikaner zurückhielten, obwohl es zwischen Amerika und Israel eine Übereinkunft gibt, solche Informationen weiterzugeben. Pollard war für den Mossad eine hervorragende Quelle, bis ihn schließlich das FBI enttarnte. Jetzt sitzt er lebenslänglich in einem amerikanischen Gefängnis.

Pollard wurde aber fallengelassen. So etwas schickt sich, gelinde ausgedrückt, eigentlich nicht, oder?

Das kann man so sagen. Man sollte allerdings bedenken, daß es für Pollard zuerst einmal besser war, in den USA gestellt und abgeurteilt zu werden. Denn hätte ihn der Mossad nach Kanada oder Mexiko geschleust, hätte er keine ruhige Minute gehabt und wäre, falls das FBI ihn doch geschnappt hätte, viel härter bestraft worden. Israels Versagen liegt darin, daß man bis heute nicht zu Pollard steht. Erst wenn Israel die Verantwortung übernimmt, kann ein Auslieferungsantrag gestellt und Pollard gegen einen der amerikanischen Spione ausgetauscht werden, die in israelischen Gefängnissen sitzen. Ich muß dazu allerdings sagen, daß für mich nicht das israelisch-amerikanische Verhältnis im Vordergrund steht, sondern das Verhältnis Israels zu den amerikanischen Juden.

Meinen Sie damit, daß man in Israel offiziell so tut, als gebe es Pollard nicht?

Ja, dabei geht es mir allerdings nicht um die offensichtlichen politischen Gründe, die für dieses Schweigen verantwortlich sind, sondern um ein tiefer liegendes Problem. Amerikanische Juden stellen für uns Israelis ein Problem dar, da sie in kulturellen, wissenschaftlichen und ökonomischen Dingen schon immer wesentlich erfolgreicher waren als wir. Das empfinden wir als eine Art Bedrohung, nicht zuletzt deshalb, weil es uns vor die Frage stellt, warum wir eigentlich hier in Israel leben, wenn wir in Amerika doch voraussichtlich viel erfolgreicher sein könnten. Eine Frage, die ganz stark unser Selbstverständnis berührt, denn es ist doch in der Tat so, daß wir lediglich deshalb hier sind, weil es sonst nirgendwo auf der Welt einen Platz für Juden gibt. Daß unser Verhältnis zu den amerikanischen Juden stark klärungsbedürftig ist, sieht man übrigens auch daran, daß es bei uns in Israel weder ein Theaterstück noch einen Roman mit einem amerikanischen Juden als Protagonisten gibt.

Können Sie mit dem Regisseur und den Schauspielern vom Cameri-Theater ruhig an der Uraufführung arbeiten, obwohl es um ein solch heißes Eisen geht?

Nein, denn es wird von verschiedenen regierungsamtlichen Seiten starker Druck auf uns ausgeübt. Es gibt dauernd Telefonanrufe mit dem Ziel, uns zu einem Abbruch der Proben zu veranlassen, oder die Verschiebung der Uraufführung mit dem Argument zu erreichen, es gebe diplomatische Bemühungen und Pollard sei in naher Zukunft wieder auf freiem Fuß. Da auch die Armee in die Affäre verwickelt ist, versuchten gerade zwei Generäle, uns im Fernsehen zu attackieren, was wir in letzter Minute verhindern konnten. Man wird das Stück nicht stoppen können. Die Spannungen sind allerdings nicht gut für die Inszenierung. Und für mich ist es nicht gut, daß ich zum ersten Mal an der Endfassung eines Stückes unter Rechtsberatung meines Anwalts arbeiten muß.

Israels Theater lebt in viel eher von aktuellen Problemstücken als das deutsche. Können Sie erklären, weshalb das so ist?

Das hat damit zu tun, daß das israelische Theater von Anfang an politisch aktiv war, in starkem Maße im israelischen Selbstbewußtsein verankert und immer noch die wichtigste kulturelle Institution des Landes ist. Wir haben weltweit den höchsten Anteil von Theaterbesuchern, gemessen an der Bevölkerungszahl. Film und Fernsehen sind im Gegensatz dazu wesentlich weniger entwickelt.

Welches aktuelle Thema werden Sie als nächstes aufgreifen?

Gar keines; ich habe das Gefühl, bereits zu viele aktuelle Stücke geschrieben zu haben.

Sind Sie müde geworden?

Etwas müde bin ich schon, das hat aber wohl eher mit der Anstrengung im Moment zu tun. Nein, der eigentliche Grund ist, daß thematisch ausgerichtete Stücke den Nachteil haben, daß man mit dem Material nicht alles machen kann, was man will, und der Phantasie zu enge Grenzen gesetzt sind. In meinem nächsten Stück wird es um Heinrich Heine gehen. Ich werde mich zwar an der Biographie von Heine orientieren, aber wesentlich mehr Freiheiten haben und vor allem den Grundkonflikt austragen, um den es auch bei mir geht: Bin ich ein politischer Schriftsteller oder ein Dichter? Ich denke, daß ich in aller Ruhe daran arbeiten kann, weil ich vor allen Dingen nicht zu befürchten brauche, irgend jemand aus Heines Verwandtschaft könnte mich vor Gericht zerren. Interview:

Jürgen Berger

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