: Berlinalie
Kein Mitleid mehr, bitte. Es reicht. Keine Anrufe mehr, bei denen ich mit Mitgefühl überschüttet werde, als säße ich neuerdings im Rollstuhl im Kino: „Armer Kerl, mußt du wirklich jeden Tag 'nen deutschen Film gucken?“ Laßt mich endlich in Ruhe mit meinen neuen, deutschen Filmen. Denn ich, ja ich bin auserwählt, sie alle zu sehen. Gestern rief die Mutter meiner Freundin an und hat es mir gesagt: du hast Jesus um ein Jahr überlebt. Seitdem ist mir klar, warum die Redaktion mich auf dieses Himmelfahrtskommando schickte.
Ja, ich bekenne, ich gehe gern mittags in die Akademie der Künste, zum täglichen deutschen Film um 14.30. Ich scheiße auf die laue Frühlingsluft draußen, auf Menschen, die in der ersten Sonne sitzen und so tun, als würden sie einfach den Tag genießen. Wenn Ihr auch nur ahnen würdet, was hinter eurer Parkbank gerade über die Landwand läuft. Aber das verrate ich euch nicht! Niemals. Ich bin nämlich nicht so indiskret, wie meine Kollegen, die euch ständig in ganz tolle Filmchen locken wollen, für die ihr dann wegen der guten Kritik, doch keine Karten kriegt. Und Verrisse schreibe ich schon gar nicht. Auch nicht über Dialoge. Er, Hamburger: Du bist mir zu deutsch. Sie, völlig entsetzt: Und dein Schwanz ist viel kleiner, als der meines Lovers aus Rostock, so! Nein, der Neue Deutsche Film hat wahrhaft genug gelitten. Vor allem unter Leuten, die sich seit Jahren über ihn lustig machen oder weitschweifig seinen Tod oder Schlimmeres verkünden.
Was der deutsche Film jetzt bitter braucht, ist weder ein Publikum, noch miesepetrige Kritiker, auch risikofreudige Verleiher und Kinobesitzer helfen jetzt nicht mehr. Nicht einmal die kürzlich von Werner Raith aufgedeckte Praxis, heimlich Umschläge mit Filmfördergeldern im Nebel vor Babelsberger Baracken zu überreichen – die Mafia wäscht ihre schmutzigsten Gelder seit Jahren im deutschen Film, weil sie weiß, daß dieses Geld nie wieder auftaucht – rettet ihn nicht dauerhaft.
Der deutsche Film braucht jetzt nur eins: Ruhe. Wer einen sieht, erzählt es nicht weiter. Wer in einer Komödie nicht lacht oder, noch schlimmer, an Stellen lacht, wo alle anderen nicht lachen, sucht die Schuld verdammt nochmal endlich bei sich selbst – und streitet bitte nicht nach dem Film mit dem Begleiter über Humor, schon gar nicht in der berühmten Kneipe danach. Es wird eisern geschwiegen!
Dann braucht keiner mehr Angst vor der Berlinale zu haben, nicht einmal Frau Trotta. Der deutsche Film geht zurück in den Untergrund, mit Manifest und allem Pipapo; wird, wie alles was Underground ist, zum Insiderding. Und dadurch irgendwann wieder Pop. Denn ihr seid alle auserwählt, einen deutschen Film zu sehen! Hugh, ich habe geschwiegen. Andreas Becker
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