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Ansichtskarten lügen nicht Von Olaf Cless

Ansichtspostkarten sind ja eigentlich mehr was für Touristen. Die fallen in unsere Städte ein, landen unweigerlich vor dem nächstbesten Postkartenständer, und schon gehen sie hinaus in alle Welt, die bunt bedruckten „Grüße aus...“ Dabei kann nur unsereins – die Eingeborenen, Alteingesessenen, die Bodenständigen – überhaupt so richtig ermessen, um was für sagenhafte Wunderwerke es sich da handelt bei diesen Karten. Ich jedenfalls, der ich in einer solchen Stadt lebe, die den Fremdenverkehr, den Rubel und die Karten- Drehständer von Herzen gern rotieren sieht – nennen wir sie der Korrektheit halber Düsseldorf –, kann mich kaum sattsehen an den allfälligen kleinen Kreationen. Vorgestern wurde ich sogar so schwach, daß ich mir im ersten Kaufhaus am Platze für drei Mark ein ganzes Wundertütchen voll zusammenstellte. Wenn es einen gemeinsamen ästhetisch-ideologischen Nenner gibt, so den: Die Hersteller scheuen weder Kosten noch Mühen, täuschend echt die autofreie Großstadt zu antizipieren. Alle Benzinkutschen sind wie vom Erdboden verschluckt. Und das wohlgemerkt in einer Stadt, wo „Benzin im Blut“ zu haben, so wie der begnadete Autohändler Helmut Becker (mein Kollege Hans- Hermann Kotte ehrte ihn unlängst an dieser Stelle), Ausweis gesundesten Bürgersinns ist und namentlich viele an den großen Ein- und Ausfallstraßen lebende Kinder Beckers stolzes Bonmot längst tapfer mit medizinischem Leben erfüllen. Die fotografischen Vermeidungstechniken sind vielfältig. Manche Karten zeigen bestürzend viel Rhein. Da tummeln sich Schiffe und Schifflein, daß man meinen könnte, die Eingeborenen von Trizonesien verbrächten den Hauptteil ihres Daseins auf dem Wasser, womöglich noch mit Salmfischerei. Weitere feuchte Motive dürfen da nicht fehlen, wie etwa ein romantischer (kamerahinterrücks allerdings autoumbrauster) Schloßteich oder ein (vom Stadtkämmerer längst abgedrehter) Springbrunnen. Bestechend sind auch Luftbilder, worauf der Straßenkrieg ins Putzig-Mikroskopische schrumpft oder unter Baumkronen, so vorhanden, verschwindet. Oder pittoreske Fassaden, die unten einfach in Kopf-, besser gesagt: Limousinenhöhe enden. Oder elegische Nachtaufnahmen, auf denen allenfalls langzeitbelichtete rote und gelbe Leuchtbänder die Straßenfluchten veredeln. Am meisten bewundere ich persönlich aber jene Schnappschüsse von notorisch vollgeparkten Plätzen und lebensgefährlichen Magistralen, die nun plötzlich wie leergefegt sind. Die Szenerie ums Rathaus wirkt, als wären die dort Bediensteten endlich mit einer fetten Parkverzichtsprämie bestochen worden, das Opernhaus, als läge es in einem Fußgängerparadies und keineswegs an einer sechsspurigen Piste. Hut ab vor den Profis, die einen verkaterten Sonntagmorgen nicht scheuen, uns solche neuen Blicke zu schenken. Sobald in meiner Heimatstadt irgendein Gäßchen gesperrt, eine Fahrradspur gelegt, eine Rennstrecke verengt werden soll, schreit die vereinigte Front von Handel, Wandel & Fremdenverkehr Zeter und Mordio und sieht ihre City bereits „mausetot“. Was für ein sauschlechtes Gewissen müssen die Herren doch dabei haben! Die Ansichtspostkarten legen den Blick in ihre zarten Seelen frei: Selbst sie träumen sich das Blech vom Hals.

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