Alles, was hat übergelebt

Zumindest die Revolution der Oper fand nicht statt: „Bericht aus die Sand“. Di'Miro/M.A.R.A.M. in der Ruine der Klosterkirche  ■ Von Christine Hohmeyer

Der Kapitän steht auf sandigem Gelände. Im Koffer hat er ein Keyboard, zu seinen Füßen sitzen ein paar verstörte Hühner, und er singt „Ich hab' so Heimweh nach dem Kurfürstendamm“. Doch der arme Mann hat Pech gehabt. Denn Berlin gibt es nicht mehr. Wir befinden uns in einer Zeit nach der Katastrophe, und von der Welt übriggeblieben sind nur die Hühner, ein paar Menschen, ein paar Koffer und Sand.

Überall Sand. Das Publikum hockt auf Koffern mittendrin. Da die Stunde Null nun einmal nichts Gemütliches an sich hat, sitzen wir im Freien, die Füße im Morast, während Holzfeuer die unwirtliche Ruine der Franziskaner-Klosterkirche erwärmen. Durch die verfallenen Mauern hindurch ist der Alex zu sehen, seltsames Relikt einer besseren Zeit. Wir aber hier drinnen sind der Welt abhanden gekommen, Zivilisation ade. Über dem Podewil geht der Vollmond auf, und die Barbarei nimmt ihren Lauf.

„Bericht aus die Sand“ ist eine Oper und gleichzeitig der erste Teil der apokalyptischen Trilogie „Geteilte Stadt – doppelte Freunde“ von der Gruppe Di'Miro/ M.A.R.A.M. Der merkwürdige Titel ist kein Druckfehler und auch nicht das Produkt eines mit den Artikeln kämpfenden Fremdsprachlers, sondern eine Textzeile des Berliner Szenedichters Enno Gramberg. Dessen Prosa über das Leben nach der Heimsuchung, in einer zerstörten Sprache und mit grauenhafter Grammatik, liegt der Oper zugrunde. „Von wenige Ecken ein paar gekrochen aus gute Versteck was hat übergelebt. Hat anfangen graben Löcher in Sand von die Garten für wohnen. Dies ist ein Bericht aus die Sand.“ Alles klar?

So rätselhaft wie dieser Text, so demontiert und fragmentarisch ist auch der Inhalt der Oper. Sollte es so etwas wie eine Handlung geben, so ist sie zumindest gut getarnt. Zu sehen sind vielmehr Bilder aus dem Leben im Sand, Bilder von Menschen, die aus dem Nichts heraus versuchen, sich eine Existenz zu schaffen. Trümmerfrauen bauen aus Koffern so eine Art Brandenburger Tor – obendrauf steht allerdings nicht die Quadriga, sondern eine Frau mit einem eisernen Kreuz.

Doch da das Ganze auf Sand gebaut ist, hält es natürlich nicht lange. So werden die Bilder des Aufbaus immer wieder zu Symbolen des Scheiterns. In dieser Hoffnungslosigkeit verlieren die Menschen jede Moral. Ein Paar tanzt immer wieder durch die zerstörte Kulisse. Die beiden ziehen und zerren sich gegenseitig umher, sind brutal, entmenschlicht und können doch voneinander nicht lassen.

Dies alles wird von einem zynischen Sprecher (Johannes Hupka) kommentiert, der zwar eine Schlüsselfigur, aber auch vollkommen teilnahmslos ist: „Ich bin kein Kind des Sandes.“ Gleichzeitig hält er wohl doch irgendwie die Fäden in der Hand, erscheint komischerweise schuld an allem. Wer ist er bloß? Ein Mörder? Ein Gott? Der Teufel? Wir wissen es nicht und werden es auch nicht erfahren. „Es ist sehr schwer herauszufinden, was das alles bedeutet“, sagt er selbst.

Die Geschichte will rätselhaft bleiben. Zwar gibt es Anspielungen auf historische Situationen, auf den Zweiten Weltkrieg etwa, doch sind dies nur einzelne Momente inmitten allgemeiner Visionen. Die jedoch entfalten eine derart beschwörende Kraft, daß man sinnlich begreift, was sich dem Verstand verweigert. So weit, so gut.

Das Ganze als eine Oper zu inszenieren wäre indessen nicht nötig gewesen. Die Musik, eine Mischung aus allen möglichen Stilen von der Romantik bis zur Atonalität, von der Opernarie bis zum adaptierten Schlager, wird von einem guten Orchester gespielt, fügt aber den Bildern selten eine weitere Dimension hinzu. Die Opernarien sind unverständlich, und die Tontechnik ist grauenhaft. Zu allem Überfluß schleicht auch noch ein winziger Opernchor durch den Matsch, der alles mit einem Background-Hm-hm begleitet. „Die Oper revolutionieren“ wollte der Komponist Rolf Baumgart. Eine wahre Revolution wäre das hier allerdings erst ohne Musik gewesen.

Bis 26. 2., täglich, außer Mo, 20 Uhr; Ruine der Klosterkirche (am U-Bahnhof Klosterstraße), Mitte