Viel Lob für Havel

Die Rede des tschechischen Präsidenten kann einen neuen Dialog mit Bonn eröffnen  ■ Aus Prag Sabine Herre

Kann man mit einer Rede eine Blockade brechen? Man kann, wenn die Rede versucht, der Blockade ihr Fundament zu nehmen. Václav Havel hat es getan, hat mit seiner Rede in der Prager Karlsuniversität ein Mißverständnis aufgeklärt: Eine Revision der Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs wird es nicht geben.

Daß Havel mit seiner Rede die Möglichkeit zu einem neuen deutsch-tschechischen Dialog eröffnete, diese Ansicht vertrat die überwiegende Mehrheit derjenigen, die am letzten Freitag vom deutschen Bertelsmann-Verlag und der Karlsuniversität in ebendiese geladen worden waren. Rund eine Stunde hatte Havel Politikern aus beiden Staaten, Mitgliedern gesellschaftlicher Organisationen, Vertretern aus Wissenschaft und Wirtschaft seine Interpretation der jahrtausendealten deutsch-tschechischen Geschichte präsentiert. Danach stimmten Deutsche und Tschechen bei der Beurteilung selbst in ihrer Wortwahl überein. „Die Rede ist ein Erfolg, mit ihr kann ein Dialog beginnen“, meinte etwa CDU-Politiker Karl Lamers. Und Jaroslav Šabata, in den 70er Jahren einer der Initiatoren der Diskussion der Charta 77 über die Vertreibung der Sudetendeutschen, meinte: „Die Rede ist ein großes Werk. Jetzt können wir einen neuen Anfang machen.“

Angesichts dieses Erfolges verbargen die Mitarbeiter der Kanzlei des Präsidenten ihre Zufriedenheit nicht. Lange Wochen hatten sie mit der Vorbereitung des „gesellschaftlichen und politischen Ereignisses“ zugebracht. Nachdem im deutschen Wahljahr 1994 von tschechischer Seite bewußt keine neue Initiative gestartet worden war, bietet allein das Gedenkjahr 1995 die Möglichkeiten zu einer Verbesserung des bilateralen Verhältnisses. Denn 1996 wird in der tschechischen Republik gewählt. Zufrieden waren die Mitarbeiter aber auch deshalb, weil sie es geschafft hatten, die sonst oft uneinheitlichen Positionen des Präsidenten, des Außenministeriums und des Premierministers auf eine Linie zu bringen. Außenminister Josef Zieleniec war unter den Gästen der Karlsuniversität, Ministerpräsident Václav Klaus hatte Havels Ansprache, noch bevor sie gehalten war, die Absolution erteilt: „Die Rede gefällt mir.“

Und es gab noch einen weiteren Grund für die Zufriedenheit: Nachdem die Ablehnung einer Entschädigung für die tschechischen Naziopfer durch die Bundesregierung bei vielen Politikern Verbitterung ausgelöst hatte, war man nun der Ansicht, daß es Havel – wie es ein Diplomat wenig diplomatisch ausdrückte – „dem Dicken endlich einmal gezeigt hatte“. Gemeint war: Havel verurteilt zwar die Vertreibung, eine Verpflichtung zur Aufhebung der Vertreibungsdekrete bedeutet dies jedoch nicht.

Dennoch gab es auch kritische Stimmen. Diese kamen vor allem aus dem Umkreis des früheren Ministerpräsidenten Petr Pithart. Die Politikberater hatten eine große Geste des Präsidenten erwartet, Havel hätte etwa das Heimatrecht der Sudetendeutschen anerkennen können. Statt dessen habe er den Meinungsmachern aus dem kommunistischen und dem nationalistischen Lager nachgegeben. Und tatsächlich lautete der Titel des Kommentars des ehemaligen KP- Blattes Rudé Právo zur Havel- Rede: „Endlich klare Worte.“

Deutsche und Tschechen, Kritiker und „begeisterte Zuhörer“ waren sich jedoch in einem Punkt einig: Nun muß die deutsche Seite den nächsten Schritt machen. Wie dieser aussehen könnte, scheint vorerst keiner zu wissen. Havels Rede eröffnete eine Vortragsreihe zum Thema „Reden über die Nachbarschaft“. Welcher Vertreter der Bundesregierung auftreten wird, steht jedoch noch nicht fest. Erwartet werden muß zudem, daß das anstehende Gedenkjahr die deutsch-tschechischen Beziehungen weiter belastet. Schon jetzt gibt es Streit, ob deutsche Politiker an den tschechischen Feiern zum Kriegsende teilnehmen sollen.

In die Zukunft gedacht haben am Tag der Havel- Rede jedoch zwei Redakteure der Tageszeitung Mlada Fronta. Sie fordern die tschechische Regierung auf, auf eine deutsche Entschädigung der Opfer der Besetzung zu verzichten – und damit auch den sudetendeutschen Forderungen die moralische Grundlage zu entziehen. Im Gegenzug könnte Bonn sich endlich zu einer großzügigen Finanzierung der immer wieder diskutierten deutsch-tschechischen Stiftung bereit erklären. Mit diesen Mitteln könnten dann nicht nur Kontakte zwischen Jugendlichen aus beiden Staaten gefördert werden, auch eine Erhöhung der tschechischen Leistungen für ehemalige KZ-Insassen wäre möglich.Kommentar Seite 10