: Braune Wallfahrt nach Berchtesgaden
Die Amerikaner ziehen vom Obersalzberg ab und hinterlassen das „Alpenrefugium“ des „Führers“ / Zukunft des Geländes ist ungewiß / Angst vor Pilgerströmen wächst ■ Aus Berchtesgaden Michael Kraa
Berchtesgaden, die kleine, malerische Alpengemeinde am Fuße des Watzmanns, sie wäre in diesen Wintertagen sicherlich eines der glücklichsten Fleckchen Deutschlands. Wäre da nicht das Armed Forces Recreation Center (AFRC) der US-Streitkräfte auf dem Obersalzberg, hoch über dem Markt Berchtesgaden. Diese Erholungsstätte wollen die Amerikaner jetzt aufgeben, weil ihnen die Renovierung der Gebäude zu teuer ist und Verhandlungen mit dem Bund über Zuschüsse gescheitert waren. Bis zur letzten Minute hatte auch Bayerns Regierung noch versucht, die Amerikaner zum Bleiben zu bewegen. Ohne Erfolg. Damit gehen die gesamten Liegenschaften jetzt an den Freistaat und bescheren Bayerns Regierung ein Danaer-Geschenk. Das Gelände, das die Amerikaner zurücklassen, sind nämlich exakt jene 100 Hektar, die Adolf Hitler 1933 teils aufkaufte, teils Einheimischen abpreßte, um auf ihnen seine Alpenfestung samt „Berghof“ zu errichten.
Was aus dem Gelände werden soll, ist bislang noch ungewiß. Sind die Amerikaner aber erst einmal abgezogen, ist die historische Altlast auf dem Obersalzberg zum ersten Mal seit Kriegsende auch für die Öffentlichkeit zugänglich. Damit wächst die Angst, das Gelände, auf dem noch viele der NS-Bauten und die gesamten Bunkeranlagen erhalten sind, könne zum Objekt brauner Nostalgie und zum Ausflugsziel von Neo-Nazis werden. Eine Sorge, die auch die Bayerische Staatskanzlei teilt. Dort warnte man davor, den Obersalzberg zu einer „Wallfahrtsstätte für Ewiggestrige“ werden zu lassen.
Aus gutem Grund: Denn schon die einzigen beiden Gebäude, die bislang öffentlich zugänglich waren, da sie außerhalb des US-Geländes lagen, haben sich längst als Publikumsmagnet erwiesen: Zum einen das Hotel „Türken“ neben den Eingängen zum Bunkersystem, zum anderen Hitlers Teehaus auf dem 1.834 Meter hohen Kehlstein. Bis zu 400.000 Besucher zählt der Kehlstein jährlich. Und längst nicht alle kommen allein wegen der schönen Aussicht. Davon zeugen die Kioske in Berchtesgaden: Sie sind voll von braunen Andenken und Devotionalien.
Da liegen stapelweise Videos, Postkarten, Bücher über die „Rätsel“, die uns „der Mensch Adolf Hitler“ aufgibt. Die Fotos zeigen „den Führer“ fast ausnahmslos als Tierfreund, Kinderfreund, als netten Feldherrn von nebenan. Schwer im Magen liegt die Literatur vor allem dem Kurdirektor Ernst Wittmann. Bis heute habe es der Markt Berchtesgaden nicht geschafft, seinen Gästen eine saubere historische Darstellung der braunen Epoche zu bieten. Depremiert legt der Kurdirektor einen ganzen Stapel der Schriften vor und gesteht: „Nur eine einzige davon ist vom Verfassungsschutz als unbedenklich eingestuft.“
Eine Ansicht, die Franz Gruber vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz bestätigt. Die Schriften seien tatsächlich „geeignet, rechtsextremistische Bestrebungen zu fördern“. Nur zum Indizieren reicht es angeblich nicht. Allerdings, so Gruber, gingen immer wieder Beschwerden vor allem ausländischer Touristen beim Staatsschutz ein.
Das Gros der Käufer ist da weniger kritisch. Und die Händler frohlocken ob des reißenden Absatzes. Nur wenn hin und wieder einmal Fernsehteams vor den Läden auftauchen, vergeht ihnen die Laune. Da werden sie dann auch mal handgreiflich.
Dennoch, so versucht der Kurdirektor zu retten, sei er entschieden dagegen, einen braunen Tourismus „herbeizureden“. Und auch in der Münchner Staatskanzlei versucht man mittlerweile wieder abzuwiegeln. Das Gelände, so Kanzlei-Chef Erwin Huber, sei nicht das erste seiner Art in Bayern. Man sei mit ähnlichen Fällen fertiggeworden und werde auch in Berchtesgaden das Entstehen einer Wallfahrtsstätte zu verhindern wissen.
Ob das so einfach sein wird, ist fraglich. Inzwischen nämlich bemühen sich mindestens fünf Nachfahren ehemals enteigneter Grundstücksbesitzer, den Freistaat zur Rückgabe „ihres“ Landes auf dem Obersalzberg zu zwingen. Hätten sie Erfolg, wären Teile des Geländes endgültig dem Zugriff der Öffentlichkeit entzogen, die Nutzung ungewisser denn je. Makabres Detail: Einer derer, die jetzt ihre Ansprüche geltend machen, hatte noch im September für ein Landtagsmandat der „Republikaner“ kandidiert.
Noch wurde in keinem der Fälle Klage eingereicht. Der Ausgang eines solchen Verfahrens wäre indes vollkommen offen, da es bislang allenfalls vergleichbare, jedoch keine ähnlichen Fälle in Deutschland gegeben hat. Damit steht aber ebenso fest, daß auch die Überzeugung der Staatskanzlei, Ansprüche abwehren zu können, vorerst jeder Grundlage entbehrt.
Wann das Gelände am Obersalzberg tatsächlich frei wird, ist immer noch offen. Aus dem Münchner Finanzministerium hieß es jedoch, daß schon ab Herbst mit dem Abzug der Amerikaner gerechnet wird.
Doch schon jetzt bahnt sich im beschaulichen Berchtesgaden eine erste heftige Auseinandersetzung an: Eine Handvoll Bürger beginnt sich zu organisieren, um für eine Gedenkstätte auf dem NS- Gelände zu werben. Ein Vorschlag, der im Gemeinderat Berchtesgaden bislang konsequent niedergebügelt wurde. Jetzt, da die NS-Altlast zum Vorschein kommt, wittern die Befürworter der Gedenkstätte Morgenluft. Dabei wissen sie aus Erfahrung, was sie erwartet. Bereits jetzt, so der beteiligte SPD-Gemeinderat Martin Rasp, hafte ihnen doch der Makel der „Nestbeschmutzer“ an, die Berchtesgaden durch die Erinnerung an seine braunen Gäste schlechtmachen wollten. Hitler, so Rasp, sei zwar offizieller Ehrenbürger Berchtesgadens gewesen, zu einer offiziellen Darstellung der NS-Geschichte sei man dagegen bis heute nicht bereit: „Der selbstverständliche Umgang mit dem Ganzen fehlt.“ Dabei gehe es lediglich darum, die braunen Schriften an den Kiosken durch eine korrekte Darstellung der Ereignisse zu korrigieren.
Ein Vorschlag zur kommunalen Vergangenheitsbewältigung, für den die Gruppe noch immer Unterstützer von außerhalb sucht. Anfang März will man dann an die Öffentlichkeit. Für einen, der vor Ort leben muß, wird das ein schwerer Gang. Martin Rasp: „Das wird ganz hart.“
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