■ Unrecht bleibt Recht: Zweierlei Maß
Ein ehemaliger Marinerichter wird Ministerpräsident in Baden- Württemberg, ein anderer Innenminister in Schleswig-Holstein. Vor fünfzig Jahren schickten beide „Wehrkraftzersetzer“ und Deserteure in die Zuchthäuser, verurteilten beide Menschen, die das Verbrechen Krieg nicht mehr mitmachen wollten, zum Tode. Die furchtbaren Juristen machen als christliche Politiker eine Wendekarriere, werden geehrt, als achtbare Bürger mit Verdienstmedaillen behängt, und wenn sie sterben, erhalten sie ein Staatsbegräbnis. Schließlich kann doch heute nicht Unrecht sein, was damals Recht war. Originalton Hans-Georg Filbinger. Und ähnlich drückt es auch heute der Ex-Innenminister und heutige Berliner DRK-Präsident Hartwig Schlegelberger aus. Konfrontiert mit seiner Vergangenheit meint er, daß er als Staatsanwalt nur Todesurteile beantragt habe, die dem damaligen Rechtsstand entsprachen.
Und damit hat er sogar recht. Denn wenn es nicht so wäre, hätte die Bundesregierung nicht so unendliche Schwierigkeiten, die Opfer der NS-Militärjustiz endlich zu rehabilitieren. In der letzten Legislaturperiode scheiterten sämtliche Versuche, die Tatbestände Desertion, Kriegsdienstverweigerung und „Wehrkraftzersetzung“ als NS-Unrecht anzuerkennen, geschweige denn die Opfer zu entschädigen und zu versorgen. Jetzt, passend zum 50jährigen Vergangenheitsbewältigungsritual, wo alle nachträglich sich als Befreite fühlen und damit Opfer waren, droht erneut eine interfraktionelle Rehabilitierungsinitative für die Opfer der NS-Militärjustiz zu scheitern. CDU und FDP wollen nur Todesurteile als Unrecht werten. Weiter ausgeklammert und damit offiziell immer noch schuldig sollen alle bleiben, die ihre Strafe im Zuchthaus, KZ oder „Bewährungsbataillonen“ absitzen mußten und oft genug dort starben.
Und während die furchtbaren Juristen auch für die Jahre, in denen sie Todesurteile sprachen, Renten einstreichen, müssen die Verurteilten um jeden Pfennig feilschen. Als Opfer des NS-Systems werden sie nicht anerkannt, nur besonders gravierende Einzelfälle auf die Härtefonds verwiesen. Das Rote Kreuz verteidigt jetzt seinen Chef. Alle Vorwürfe gegen ihn seien unmoralisch und inhuman und – weil schon längst verjährt – auch noch rechtswidrig. Unmoralisch und inhuman ist in Wahrheit aber der öffentliche Umgang mit den Opfern der Militärjustiz. Rechtswidrig leider nicht. Anita Kugler
Siehe auch den Bericht auf Seite 22
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