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Abholzlizenzen für ein paar Dollar

In Papua-Neuguinea zerstören Holzfirmen mit leeren Wohlstandsversprechen auch die traditionellen Strukturen der Clans / Die junge Generation beginnt sich zu wehren  ■ Von Christa Wichterich

Vor drei Monaten wußte ich noch nicht, wie man „Neuguinea“ schreibt, und jetzt bin ich da. Mit gemischten Gefühlen. Der Vorlauf war ein Slalom durch warnend erhobene Zeigefinger: höchste Kriminalitätsrate der Welt, Stammeskämpfe mit Pfeil und Bogen, viele Vergewaltigungen; nicht mit öffentlichen Bussen fahren, im Dunkeln nicht auf die Straße, Rascals!

„Rascals“, was soviel bedeutet wie „Halbstarke“, ist auch das einzige laute Wort, das auf dem handlichen Flughafen bei der Ankunft in der Hauptstadt Port Moresby zu hören ist, als zwei Angestellte hinter ein paar Jugendlichen herspurten, die offenbar den Koffern zu nahe gekommen sind. Wir hätten sicher schon gehört, daß es ein paar Sicherheitsprobleme gebe, meint Ian bei der Begrüßung, ein verschmitzter Australier in kurzen Beinkleidern und weißen Kniestrümpfen mit Zopfmuster. Schlimm sei es zum Beispiel während der Weihnachtszeit, wegen vieler Feten und noch mehr Bier. Am schlimmsten aber seien die Freitage: Zahltage. Was diese Weißen immer erzählen!

Gleich in der ersten Nacht wecken uns Hundegebell und aufgeregte Stimmen. Wir schrecken hoch von Geschrei und Gepolter, zunächst vor, dann im Gästehaus. Unsere Fantasien überschlagen sich wie die Stimmen: Überfall! Rascals! Wie viele? Drei oder fünf? Möbel werden zertrümmert, Glas klirrt. Sollen wir ein Bett vor die Zimmertür stellen oder uns unter die Betten legen? Die Bedrohung scheint näher zu kommen. Werden Türen eingetreten? Die klugen Landeskenner zu Hause haben empfohlen, keinen Widerstand zu leisten, keine Angst zu zeigen und Geld parat zu haben. Sehr schlau, wir haben kaum Geld gewechselt auf dem Flughafen. Dann, nach zwanzig langen Minuten Zerstörungsorgie: Stille.

Am nächsten Morgen, Samstag, liegen die Rattanmöbel aus der Eingangshalle als Kleinholz vor der Tür, die Polster in den Blumenrabatten, der Fernseher in Einzelteilen zwischen den Büschen. „Der Chefkoch hatte Zahltag und ist besoffen nach Hause gekommen.“ Die anderen Gäste sind so blaß, wie man es als Niugini nur werden kann. In der Nacht waren wir alle entschlossen, sofort abzureisen. Nun sehen wir in den anderen Augen die eigene Angst – und müssen lachen. Warum er denn nicht die Polizei geholt habe, fragen wir Jetro, den Aufpasser vom Dienst. „Er tat mir so leid, der Koch.“

Port Moresby ist eine junge Stadt, nur wenige ältere Menschen sind zu sehen. Die Stadt wirkt zerrissen, Hüttendörfer auf Pfählen mit dem Gestank von brackigem Wasser und festungsgleiche Apartmenthäuser mit Meeresblick, wo sich hinter Stacheldraht und Wachdiensten die weißen Experten verschanzen, Supermärkte und Frauen, die, auf dem Bürgersteig sitzend, ein halbes Dutzend Betel- Nüsse anbieten, spiegelverglaste Banken, in denen viele Arbeiter barfüßig am Schalter stehen, Niederlassungen australischer Firmen und Fünf-Sterne-Hotels.

Viele Jugendliche sind arbeitslos. Kris, stämmig und mit seinem dicken, schwarzen Bart ein typischer Hochländer, war einer von ihnen. Als Kind ging er jeden Morgen bei ohrenbetäubender Kakophonie von Paradiesvögeln und Papageien zwei Stunden über glitschige Urwaldhänge und durch mäandernde Flüsse zur Schule. Es gab täglich Süßkartoffeln und Taro und bei einem Fest Mumu, ein in Bananenblätter gewickeltes, in einem Erdloch gegartes Schwein. In der Schule aber sah Kris in seinem Englischbuch Mrs. White eine Einkaufstüte aus dem Supermarkt auspacken, Mr. White sein Auto waschen und die Kinder White vor dem Fernseher sitzen. Er lernte die fremde Sprache in der Hoffnung, sie sei das „Sesam, öffne dich!“ zu der Welt der Whites, zu Supermärkten, Autos und Jobs.

Kris lief seinem Traum nach, zog in die Stadt, erwischte aber mit schäbigen Gelegenheitsjobs immer nur Zipfel. Wie im Dorf, so lief die Entwicklung auch hier an ihm vorbei. Die Welt der Whites war nun zum Anfassen nahe, und trotzdem unerreichbar. „Aber eines Tages nimmst du sie dir einfach“, sagt er.

Ende der Achtziger tauchte eine Holzfirma in Kris' Dorf auf und versprach das, was von der Regierung nicht kam: Entwicklung – Straßen und Brücken, eine Schule, einen Gesundheitsposten und Jobs. 30.000 Mark auf die Hand erschien den Dörflern als astronomische Summe und als Freibrief für die Moderne – und dafür wollte die Firma nur ein paar Bäume aus ihrem Urwald. Stolz, daß sie mit dem Land, das nach traditionellem wie modernem Recht ihnen gehört und unverkäuflich ist, das schnelle Geld machen könnten, setzten die Clan-Ältesten ihre Unterschrift unter die Einschlagskonzession.

Die Bulldozer und Kreissägen der Holzunternehmer rückten an. Die Firma, ein Familienbetrieb chinesischer Malaysier, hat den Zynismus zum Programm gemacht: Sie heißt „Rimbunan Hijau“ – grüner Wald. Als Fahrer und Facharbeiter brachte sie Malaysier und Philippinos ins Dorf, die sich an die Frauen heranmachten und nur ein paar mager bezahlte Hilfsjobs für die Männer ließen. Sie metzelten die Urwaldriesen nieder, schleiften sie über die Gärten der Frauen, fuhren über die heiligen Stätten und Gräber. Nicht nur die wertvollen Taun-, Zedern- und Walnußhölzer holten sie aus dem Wald, sondern sie walzten alles nieder. Was blieb, war Wüste.

Aufgeteilt unter die Clan-Angehörigen blieben von der Hoffnung auf Reichtum nur ein paar Scheine für jeden, und von der Hoffnung auf Entwicklung nur australischer Reis und Büchsenfisch, Kleidung und ein paar Konsumgüter. Das vorher glasklare Flußwasser war trüb vom heruntergespülten Schlamm der Berghänge. Der Regen spülte die nur provisorisch angelegten Pisten und Brücken weg. Von Schule und Gesundheitsposten keine Spur.

Als Kris aus der Stadt zurückkehrte, dämmerte ihm, was die Alten nicht wahrhaben wollten: Sie waren über den Tisch gezogen worden, wie weiland im Wilden Westen die Indianer mit den Glasperlen. Die Jugendlichen verlangten einen größeren Teil vom Kuchen, Kompensation. Kompensation ist ein Kernstück der alten Clan-Logik: Für zugefügten Schaden muß man Entschädigung zahlen. Doch die malaysische Firma zahlte nur fünf Dollar für jeden Kubikmeter kostbares Rundholz, das sie für 150 Dollar nach Japan exportierte. Kris und seine Kumpanen rollten den Lastwagen der Malaysier ein paar dicke Stämme vor die Räder, einige Pfeile flogen den Waldarbeitern um die Köpfe, und eine Planierraupe brannte. Die Malaysier suchten das Weite. Was Kris damals noch nicht wußte ist, daß die Holzfirma auch die Regierung ausgetrickst hatte. Mit falschen Angaben über Menge und Qualität des Holzes prellte sie den Staat um Ausfuhrsteuern.

„Entwicklung hat für unsere Gemeinschaft und unsere Kultur Zerstörung gebracht“, sagt Kris heute. Seine Erfahrung nutzt er jetzt in seinem Job beim Melanesian Environment Fund, einer Organisation, die in den Dörfern aufklärt, damit die Clans keine Abholzlizenzen für ein paar leere Versprechungen und eine Handvoll Dollar vergeben.

Jacob Sawanga hat den Sprung in die Moderne geschafft. Nach dem Studium in Australien wurde er Verwaltungschef von Lae, der zweitgrößten Stadt Papua-Neuguineas. Er genießt es, mit seinem Motorboot an den winkeligen Buchten seiner Heimatregion gegen aufkommenden Wind und Regen vorbeizupreschen. Was für die Dörfler im Hochland der Traum vom Toyota-Geländewagen ist, ist an der Küste der Außenbordmotor. Moderne bedeutet Mobilität. Jacobs Dorf ist eine Ansammlung von Holzhütten unter Palmen in einer Bilderbuchbucht. Die Kinder laufen schreiend zusammen, als das Motorboot heranbrummt. Jacobs hagere Mutter paddelt in einem Kanu heran und schenkt dem Sohn und den weißen Gästen die Hälfte der Bananenstaude und die Ananas, die sie gerade in ihrem Garten geerntet hat.

Außerhalb der Bucht tuckert Jacob in respektvollem Abstand an dem zerklüfteten Ufer vorbei und weist auf einen steilen Hang, der mitgenommen aussieht. Dort haben der Seboma- und der Kui- Clan mit Pfeilen und Speeren Front gegeneinander bezogen. Ursache des Konflikts ist ein Streit über den Grenzverlauf zwischen den beiden Clan-Gebieten. Der Streit war alt, aber bedeutungslos. Doch jetzt, wo eine Tochterfirma von Rimbunan Hijau auch hier abholzen will, glauben die Clans, daß jeder Quadratmeter und jeder Baum bare Münze für sie bedeute. Und die Malaysier haben das schwelende Feuer nach dem Uralt- Prinzip des Teile-und-Herrsche geschürt. Jacob, selbst Seboma, will schlichten – bisher ohne Erfolg. „Überall in Papua-Neuguinea brechen wegen des Geldes Konflikte wieder auf, die längst als befriedet gegolten hatten.“

Jacob schüttelt den Kopf über die Naivität der Seinen. Von dem Geld würden die Clans sich ein Motorboot, Dosenfisch und Bier kaufen; ihre Felder würden sie vernachlässigen, die Kultur des Teilens aufgeben. Nach ein paar Jahren, wenn die Holzfirma und die Bäume verschwunden seien und das Geld verbraucht, entstehe eine große Unzufriedenheit. „Die Jugendlichen gehen in die Städte und klauen. Was wir brauchen, ist eine Entwicklung in den Dörfern, die nicht zerstört.“

Als ich all dies FreundInnen nach der Rückkehr ins kalte Germany berichte, erzählen mir drei, daß sie während meiner Abwesenheit Opfer von Diebstählen wurden. Rascals, denke ich.

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