: Zu Weihnachten gibt es nur noch Kunden
Verwaltungsreform kommt in Gang: Verwaltungsakte sollen zu Produkten und Bürokraten zu marktwirtschaftlich orientierten Managern werden / Die Bezirke reformieren bereits eifrig, doch die Senatsverwaltungen zieren sich noch ■ Von Christian Füller
Mit dem Reisepaß geht es einfach: Künftig soll die Verwaltung ihn als Produkt anbieten. Jeder kann sich das vorstellen, viele fordern es seit langem: daß das Einwohnermeldeamt keine künstliche Gebühr mehr für das Reisedokument festlegt, sondern den tatsächlichen Preis berechnet. Und so soll es in Berlin nun die gesamte Verwaltung praktizieren. Ob es um eine Hundemarke geht, die Gewährung von Sozialhilfe oder die Aufstellung eines Bebauungsplanes – die Bezirks- und Senatsverwaltungen soll ihr bislang hoheitliches Handeln in „administrative Dienstleistungen“ umformulieren. Die Verwaltung mutiert, wenn's denn klappt, zum Dienstleistungsunternehmen.
Beinah unbemerkt von der Öffentlichkeit tritt damit auch Berlin in einen Prozeß ein, den man getrost als eine Revolution der öffentlichen Verwaltung bezeichnen kann: der 200.000 MitarbeiterInnen zählende bürokratische Apparat Berlins, bislang gekennzeichnet von Beamten, Hierarchien, Dienstanweisungen und Aktenvorgängen, soll ein kalkulierbarer und vor allem „kundenfreundlicher“ Betrieb werden. Das Projekt mit dem Titel „Unternehmen Verwaltung“ wäre – nach der Gebietsreform in den siebziger Jahren – die zweite grundlegende Veränderung der deutschen Verwaltung seit den Tagen des Freiherrn vom Stein. Wie kann das gehen?
Lisa Westermann zum Beispiel zeichnet als Amtsleiterin. Noch. Bald aber soll sie Managerin sein. Mit ihren KollegInnen ist die 37jährige Leiterin der sozialpädagogischen Dienste im Kreuzberger Jugendamt derzeit damit beschäftigt, ihre Beratungen in Dienstleistungen, in „Produkte“ umzudefinieren. Sie hat zunächst sämtliche Leistungen aufgelistet, die ihr Amt im Umgang mit dem Bürger und auch als Zuarbeit zu anderen Verwaltungen erbringt. Nun soll sie mittels einer Kosten- und Leistungsrechnung feststellen, was das effektiv kostet. „Wir sind froh darüber“, sagt der Realisierungsbeauftragte für die Verwaltungsreform in Kreuzberg, Dietmar Heil, „weil wir jetzt mal sehen, wieviel wir eigentlich machen.“
Heil lobt das kleine Einmaleins der Betriebswirtschaftslehre. Denn erstens weiß er dann, wieviel ihn die Beratungseinheit bei seiner Kollegin Westermann wirklich kostet, etwa die „Regelung der elterlichen Sorge bei Trennung und Scheidung“. Und zweitens bekommt Frau Westermann mehr „unternehmerische Freiheit“: Es geht darum, sagt sie, „daß ich durch eine andere Arbeitsgestaltung Mittel erwirtschafte, die ich zum Beispiel zur fachlichen Weiterbildung meines sozialpädagogischen Dienstes verwenden kann“.
Die Amtsleiterin hätte also plötzlich ungeahnte Freiheiten: sie müßte ihre am Ende des Haushaltsjahres noch unverbrauchten Mittel nicht mehr schlicht verpulvern. „Dezemberfieber“ heißt dieser absurde Vorgang, der sich jedes Jahresende als lustvolles Verprassen von Staatsknete wiederholt und als „Jährlichkeitsprinzip“ auch noch in den Haushaltsordnungen verankert ist.
Lisa Westermann könnte statt dessen ihre unverbrauchten Finanzen mit ins nächste Haushaltsjahr nehmen und frei in ihren Arbeitsbereich investieren: Computer anschaffen, Aufklärungsarbeit im Kiez finanzieren, ihre fähigen Jugendberater mit Leistungsprämien belohnen. Wie eine Managerin eben würde die Sozialpädagogin disponieren. So stellen es sich jedenfalls die Berliner Verwaltungsreformer vor.
Das aber ist die Theorie. In welche Praxis der Reformweg unter der Überschrift „Unternehmen Verwaltung“ führen wird, weiß keiner ganz genau. „Wir befinden uns in einem Prozeß“, wehrt der Realisierungsbeauftragte aus der Innenverwaltung ab. Einer seiner 27 Kollegen, die in Berlin die Reform vorantreiben sollen, ist Norbert Przesang aus Weißensee. Er meint, es werde „Jahre dauern, bis sich die positiven Effekte der Reform einstellen“. Und Experten aus der Wissenschaft sind sich einig, daß die Umstellung der Verwaltung vor der Jahrtausendwende nicht zu haben sein wird. Entsprechend offen werden die Konsequenzen gehandelt – alles ist möglich. Einsparungen etwa wären viel einfacher und rigoroser als bisher vorzunehmen. Der Finanzsenator bräuchte nicht mal kürzen, er muß einfach nicht mehr Geld hergeben. Die Bezirke nämlich haben für 1995 und 1996 Globalhaushalte zugewiesen bekommen. Das sind globale Summen, mit denen sie – wie Lisa Westermann – eigenständig wirtschaften können. Nachtragshaushalte sind nun allerdings nicht mehr drin. Sonst wäre ja das wesentliche Druckmittel für effizientes Wirtschaften weg: mit seinem Budget auszukommen. Finanzsenator Pieroth wird da keinen Fußbreit weichen.
Was aber könnte Lisa Westermann dafür, wenn – wie geplant – die Laufzeit der Arbeitslosenhilfe verkürzt, die Sozialausgaben der Kommunen also explodieren würden? Als sie noch Amtsleiterin war, konnte die Sozialpädagogin auf den Grundsatz der Sozialstaatlichkeit pochen. Als Managerin wird man ihr nun schlechte Kalkulation vorwerfen – und sie bitten, sie möge die fehlenden Mittel doch bitte anderswo erwirtschaften. Durch Entlassungen vielleicht? Nein, sagt die Sozialpädagogin Westermann zum Thema Selbst- Wegrationalisierung, „wir wollten mit in die Verwaltungsreform hinein. Nur so haben wir die Chance, die sozialen Standards in Kreuzberg zu halten.“ In Zukunft werde nicht mehr mit dem Rasenmäher gekürzt, ergänzt ihr Realisierungsbeauftragter Dietmar Heil: „Anhand der Kosten, die dann ja offenliegen, soll der Steuerzahler entscheiden, was ihm die Leistungen Wert sind.“
Genau bei diesem Teilschritt sind die an der Reform beteiligten 23 Bezirke und vier Senatsverwaltungen nun angekommen: Sie haben ihre „Produkte“ definiert. Nun kommt die Kosten- und Leistungsrechnung. Im März soll dann der „Berliner Produktkatalog“ mit insgesamt rund 20.000 Positionen fertiggestellt sein. Und wenn der Fahrplan eingehalten wird, geht es so weiter, bis Berlins BürgerInnen Ende des Jahres vom „Unternehmen Verwaltung“ besser bedient werden.
Eine schöne Bescherung wäre das zu Weihnachten 1995: es gäbe nur noch „Kunden“ in Berlin. Auf dem Wunschzettel der Verwaltungsreformer steht der Wirtschaftsbürger, preis- und leistungsbewußt soll er sein. Freilich treten der Verwaltung nicht Kunden, sondern Staatsbürger mit politischen und sozialen Rechten gegenüber. Anders als in einem Privatbetrieb könnte die Verwaltung etwa nicht einfach die „Hilfe zum Unterhalt“ aus ihrer Produktliste streichen.
Kritik an dem aufs Ökonomische verkürzten Konzept einer notwendigen Reform kann sich allerdings kaum artikulieren. Bislang geht das Projekt wie geheim vonstatten. Öffentlichkeitsarbeit betreiben die Verwaltungsreformer so gut wie nicht. Nur in der Berliner Verwaltung selbst kursiert ein Blättchen. Es heißt „direkt“. Mangels Auflage kann es den Berliner Bürger leider nur indirekt erreichen. Das bereitet einem Teil der Reformer Kopfzerbrechen. Auch der Bürger selbst müsse an der Umgestaltung beteiligt werden, meint etwa Norbert Przesang, der Verwaltungschef des Bezirks Weißensee. Er fordert daher auch für die Weißenseer BürgerInnen ein paar tausend der direkt-Broschüren an.
Przesang ist Soziologe und hat ein Vorläuferprojekt im Nordosten Berlins betreut, das politischer ausgerichtet war. In Weißensee hatte man 1991 nicht damit begonnen, die Verwaltung zu ökonomisieren, sondern man brachte sie den BürgerInnen näher. Das Bezirksamt gab Verwaltungszuständigkeiten an ein Bürgerbüro ab. Gleich nebenan können viele WeißenseerInnen seitdem ihren Paß beantragen. Sie bekommen sämtliche Formulare und sie werden ganz anders betreut. Das hat auch deutlich eine Bürgerbefragung durch die Berliner Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege unter 6.500 BerlinerInnen gezeigt: im Punkt Freundlichkeit schnitt der Bezirk Weißensee dabei besser ab als alle anderen Berliner Bezirke.
Bürgerorientierte Büros wie die in Weißensee gelten in der bundesrepublikanischen Debatte als die „politische Variante“ einer Verwaltungsreform. Wie bereits in Heidelberg oder Hagen wären in der bislang noch ganz andere politische Beteiligungsmöglichkeiten denkbar. Die Bürger könnten bei der sogenannten „vorgezogenen Bürgerbeteiligung“ im Bebauungsplanverfahren ihre Ideen einbringen und müßten nicht hinterher vors Verwaltungsgericht ziehen. Stadtteilorientierte Selbsthilfegruppen wie das Weddinger „Kommunale Forum“ hätten einen natürlichen Ansprechpartner: den oder die Leiterin des Bürgerbüros, die ja nun über Personal und Ressourcen viel eigenständiger disponiert. Aber das ist Zukunftsmusik. Die Berliner Reform hat ihr Vorbild im „Neuen Steuerungsmodell“, das in vielen deutschen Kommunen bereits angewendet wird (Siehe untenstehenden Artikel). Ziel dieser Reform ist es, Beamte und Verwaltungen nicht mehr bürokratisch zu steuern, also über Hierachie und Befehl. Wirtschaftliche Anreize sollen nun die Beamten dazu bringen, „kundenfreundlicher“ und zugleich sparsamer ihrem Verwaltungsgeschäft nachzugehen. Eine politische Dimension, wie sie der Initiator der preußischen Verwaltungsreformen, der Freiherr vom und zum Stein noch im Jahr 1807 in seiner Nassauer Denkschrift formulierte, sucht man da vergeblich.
Ohnehin aber liegen dicke Brocken auf dem Weg der Berliner Verwaltungsreform. Dazu gehören das Haushaltsrecht und vor allem das antiquierte Recht des öffentlichen Dienstes, das aus vordemokratischen Zeiten stammt. Wie soll man etwa einen Amtsleiter zum effizienten und sparsamen Wirtschaften motivieren, wenn er sowieso nach zwei Jahren eine Gehaltsstufe hinaufklettert? So will es das Laufbahnprinzip des Beamtenrechts, und das kann nur der Bundestag ändern.
Hinzu kommen hausgemachte Probleme. Jüngst hatte ein Zeitungsinterview mit einem Mitarbeiter der an der Reform beteiligten Unternehmensberatung für Aufregung gesorgt, weil er öffentlich aussprach, was eigentlich alle wissen: daß die Ministerial-, also die Senatsverwaltungen bei der Reform (noch) nicht richtig mitziehen. Während sich die 23 Bezirke mächtig ins Zeug legen, sind auf Senatsebene lediglich die Schul-, Sozial-, die Jugend- und die Innenverwaltung mit von der Partie. Der Verdruß der Reformer ist verständlich: die Umstellung von Bürokratie auf Dienstleistung ist ein Jahrhundertakt, der ohne aktive Mithilfe des Personals überhaupt nicht denkbar ist. Mitarbeitermotivation ist allererste Reformpflicht.
Wenn nun aber ausgerechnet die Beamtenschaft der Ministerialverwaltungen vergrätzt wird, geht das „Unternehmen Verwaltung“ gleich im ersten Haushaltsjahr pleite. Daher ist die Sprachregelung der federführenden Unternehmensberatung Arthur D. Little nur allzu verständlich: „Im Gegenteil, es wird mit hohem Engagement von allen Stellen gearbeitet.“ So heißt es nun.
Apropos Unternehmensberatung: Auf einem Gebiet hat die Berliner Verwaltung privatwirtschaftliches Niveau schnell erreicht – die drei Unternehmensberatungen, die das Projekt konzipieren und betreuen, die Firmen Arthur D. Little, KPMG und Price Waterhouse, streichen ein absolut marktübliches Honorar ein: 20 Millionen Mark. Dafür sind 45 Mitarbeiter anderthalb Jahre im Einsatz. Hochmotiviert, versteht sich.
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