: Persilschein für Auschwitz-Leugner
■ Die schriftliche Urteilsbegründung im „Auschwitz-Mythos“- Prozeß liegt vor / „Mythos“ angeblich indifferenter Begriff
Berlin (taz) – Da dürfte die rechtsradikale Szene sich freuen. Gestern legte das Hamburger Amtsgericht die schriftliche Urteilsbegründung im Prozeß um den sogenannten „Auschwitz-Mythos“ vor. Auf 13 Seiten begründet Richter Albrecht Kob, den Angeklagten André Goertz (24) und Jens Siefert (23) sei nicht nachzuweisen, daß sie mit dem Wort „Auschwitz- Mythos“ die Vernichtung der Juden hätten leugnen wollen. Beide hatten im März 1994 ein Band mit der Hetze gegen Spielbergs „Schindlers Liste“ besprochen und es über das braune „nationale Infotelefon Hamburg“ verbreitet.
Zunächst begibt sich Amtsrichter Kob auf die Sinnsuche des Begriffs „Mythos“. Immerhin werde er in der deutschen Sprache auch im Sinne von Sage, Legende verwendet, stellt Kob fest. Es entging ihm nicht, daß der Begriff der „Sage den Bedeutungsgehalt enthält, daß von einem historisch nicht nachgewiesenen Ereignis die Rede ist, das folglich nicht stattgefunden haben muß oder kann.“ Immerhin sei es möglich, den „Begriff Auschwitz-Mythos mit dem Bedeutungsgehalt des Wortes Auschwitz-Lüge“ gleichzusetzen. Dann schlug Kob in Meyers Großem Taschenlexikon nach und fand eine weitere Interpretation. Mythos, so las er, bilde keine Urteile, sondern wolle Realitäten darstellen, für die es keiner rationalen Beweise bedarf. Vollends ins Schwanken brachte die richterliche Urteilskraft die Lektüre von Spiegel und taz :„Der Holocaust ist in Israel ein Mythos ... Das Verhältnis zu Deutschland heute aber hat nichts mehr zu tun mit dem Mythos Holocaust“, schrieb die taz-Hamburg am 23.12.94. Der Spiegel vermerkte in einer Titelgeschichte im Januar: „Nein, vielmehr wurde den bewußt lebenden Israelis schmerzlichst in Erinnerung gerufen, daß Auschwitz mit konstituierend für ihr Selbstverständnis ist, eine ständige Erinnerung an die Plagen im Ägypterland ... Konnten die alten Überlieferungen, weil mythisch, nie sterben, so würde sich der gar so gegenwärtige Mythos ,Auschwitz‘ unweigerlich ... abschwächen ...“
Beide Zitate, so Richter Kob, belegen, „daß der Begriff Auschwitz-Mythos in seinem objektiven Bedeutungsgehalt indifferent geworden ist und damit für sich gesehen neutral, jedenfalls aber nicht negativ in Sinne von ,Auschwitz-Lüge‘ besetzt ist“. Vielfältige Deutungen eines Begriffs ließen Richter Kob indifferent werden. Seine Zweifel legte der Amtsrichter zu Gunsten der Angeklagten aus. Außer acht ließ Kob, daß er Goertz bereits im vergangenen Jahr als bekennenden Neonazi kennenlernte. Er hatte ihn verurteilt, weil er einen abgewandelten Hitlergruß gezeigt hatte. Unerwähnt läßt Kob, welche Bedeutung die „Nationalen Infotelephone“ für die rechte Szene haben. Lapidar konstatiert er, daß „rechtsgerichtete Kreise“ Erklärungen und Botschaften darüber verbreiten. Daß sie aber einen wichtigen Kommunikationspfeiler bilden, unterschlägt er. Hätte er beim Hamburger Verfassungsschutz angerufen, hätte man ihm dort gesagt, daß die rechte Szene sich über die Anrufbeantworter gegenseitig auf dem laufenden hält, Demotermine und „nationale Treffen“ kundtut. Die Staatsanwaltschaft legte bereits am Tag des Freispruchs Berufung ein. Annette Rogalla
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