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Die lange Nacht der Auteure

Braucht der europäische Film Fernsehquoten zum Überleben? Brüsseler Kulturkampf, die II.  ■ Von Mariam Niroumand

Nicht ganz so splendid war die Isolation, in der sich der französische Kultusminister Jacques Toubon letztens in Bordeaux befand: Weit und breit hatte sich beim informellen Treffen der Kultusdiplomatie keiner gefunden, der den französischen Vorstoß für eine Verschärfung der Quotenregelung im europäischen Fernsehen mitgetragen hätte. Mitte dieses Monats steht die entgültige Revision der Fernsehrichtlinie Télévision sans frontières in Brüssel an, die bislang noch festlegt, daß 51 Prozent der Programme, die auf europäischen Kanälen ausgestrahlt werden, in Europa hergestellt und 10 Prozent unabhängig produziert worden sein müssen. Nur der euphorische Titel der Richtlinie verweist darauf, wie heikel die Angelegenheit ist, um die es hier geht. „Der Staat hat die Hoffnung aufgegeben, die amerikanische Flut einzudämmen“, lamentieren die Cahiers du Cinéma seitenlang in ihrer aktuellen Ausgabe. „Man kann diese Kapitulation sogar datieren: mit dem Tag, an dem die Kulturadministration Jacques Langs den Vertrag zwischen Gaumont und Buena Vista über die Distribution amerikanischer Filme in Frankreich besiegelt hat. An diesem Tag ist es dem Autorenkino genauso ergangen wie dem Sozialismus selbst: er wurde von seinen eigenen Vorkämpfern in den Institutionen fallengelassen.“ Dazu ein Photo vom sterbenden Cyril Collard aus „Wilde Nächte“, wie er im Straßenchaos hilfesuchend die Hand hebt: das versinkende europäische Kino im amerikanischen Smogalarm.

Die Franzosen, so feixte neulich ein amerikanischer Marktbeobachter, „tun alles für ihr Kino – außer hinzugehen.“ Sie besteuern die Kinokarten mit 11 Prozent, Videoverkäufe und Ausleihen mit 2,5 Prozent, Pornographisches mit noch mal einem extra Obulus und haben ihren großen Fernsehkanälen die Auflage gemacht, einen Teil ihrer Einnahmen in die Filmproduktion zu investieren.

Dennoch unterschieden sich die französischen Zahlen nicht allzusehr von den gesamteuropäischen: Die Zahl der Besucher europäischer Filme sank von 600 Millionen jährlich zu Beginn der achtziger Jahre auf traurige hundert Millionen in diesen düsteren Tagen; für amerikanische Filme sind es immerhin noch 450 Millionen. In allen europäischen Ländern okkupieren die Amerikaner mit dem, was die Cahiers verächtlich „Weltkino“ nennen, mindestens 90 Prozent des Markts.

Aber selbst wer nicht so albern greinen möchte wie die Franzosen weiß, daß das Thema in mehrerer Hinsicht heikel ist. Der audiovisuelle Markt ist einer der wenigen, von denen man sich überhaupt noch eine Expansion erhoffen darf. In zehn Jahren wird die Zahl der Kanäle von 49 auf 129 gestiegen sein, für das Jahr 2000 rechnet man gar mit 500 Kanälen, die zusammen einen gierigen Schlund ergeben: Sie werden dann 3.250.000 Stunden Programm benötigen, vor allem natürlich Spielfilme. Von denen hängen auch Sonderentwicklungen wie Pay-TV, interaktive Filme, Bestellvideos ab. „Diese Revolution“, so schwärmte Jacques Delors, dessen Präsidentschaft die Franzosen auch zu einem neuen protektionistischen Vorstoß nutzen wollten, „wird so wichtig wie die Gutenberg- Presse.“ Es ist die zweitgrößte Exportindustrie der Amerikaner nach der Luftfahrt. Sechzig Prozent der Milliardengewinne, die die amerikanische AV-Industrie überhaupt abwirft, kommen aus dem europäischen Markt. Kein Wunder, daß es diese Branche war, die die Gatt-Verhandlungen vor über einem Jahr fast zum Platzen gebracht hätte, wäre sie nicht in letzter Minute aus den Handelsgesprächen über Käse, Schiffe und Rinderwahn herausgenommen worden. „Nie werde ich vergessen“, donnerte Toubon nach seiner Niederlage in Bordeaux, „daß wir im September 1993 in genau derselben Situation waren, als wir die kulturelle Ausnahme wollten. Im Dezember hatten wir sie. Frankreich stellt in dieser Auseinandersetzung eine Art europäisches Ideal dar; eine Nation, die nicht nur an sich denkt.“ Was nicht ganz zu beweisen war. Während die französische Delegation sogar fordert, die Quoten zu erhöhen und vor allem die kleinen Schlupflöcher im Text der Télévision sans frontières zu stopfen („im Rahmen des praktisch Durchführbaren“), wollen die anderen EU-Mitglieder, allen voran Martin Bangemann für Deutschland, die Quoten am liebsten ganz abschaffen. Verfassungsrechtler sehen Probleme mit dem Föderalismus (Staatsfreiheit des Rundfunkrechts, ist alles Sache der Länder), mit der Kontrolle und den „Sanktionen“ bei Zuwiderhandlung (wer kann eine Sendung aus dem Programm nehmen), Definitionsprobleme (wer ist ein „unabhängiger“ Produzent, was genau ist eine europäische Produktion).

Bangemann und andere hegen die seltsame Vorstellung, mit einem Kessel Buntes, einer Abgabe auf nichteuropäische Sendungen, einem Telekom-Pfennig und anderen seltsamen Kleinigkeiten einen ähnlichen Schutzeffekt wie den durch die Quote zu erreichen; geeinigt hat man sich allerdings vorerst nur auf eine Verdoppelung der Fördermittel für die nächsten fünf Jahre.

Das, so fand es jedenfalls das Time Magazine in seiner Titelgeschichte von dieser Woche, ist genau der falsche Weg. Die Empfänger seien „Fördermittel-Zigeuner“, die „Projekte entwickeln, ohne auch nur einen Gedanken an die Zuschauer zu verschwenden. (...) Während man in Hollywood Film als ein Geschäft sieht, ist für die führenden europäischen Auteurs kommerzieller Erfolg gleichbedeutend mit künstlerischem Versagen.“ Dabei sehe man doch am struntzgesunden europäischen Fernsehen, daß Protektion nichts nützt: „Die Fernsehproduktion boomt, und die selbstproduzierten Shows belegen 60 Prozent der Sendezeit. Mehr noch: Sie dominieren die Prime-Time. Das Problem ist nur, daß sie teuer in der Herstellung sind und der Bedarf sehr viel schneller wächst als die Werbeeinnahmen oder die Budgets der Produzenten.“ Logisch: Man wird auf amerikanische Serien zurückgreifen müssen, aber, so Jay Stuart von Kagan World Media, „sie werden nur als Füllsel benutzt. Wer hohe Einschaltquoten will, muß regional produzieren.“ Nicht von der Hand zu weisen ist, was die Time-Autoren als Hauptgrund für die Schwierigkeiten der Europäer ausmachen: die Zersplitterung der Filmdistribution in hunderte von Firmen, von denen nicht eine transnational arbeitet. Die fünf wichtigsten europaweit arbeitenden Firmen sind prompt amerikanische: UIP, ein Joint-venture aus London, das Filme von MGM, Paramount und Universal vertreibt, und die Verleiher für Columbia/ Tri Star, Disney, Fox und Warner Brothers. Deshalb ist man sich auch allenthalben einig, daß die verdoppelten EG- Fördermittel hauptsächlich in die Zentralisation des Verleihs gehen sollen. Aber irgendwie weiß man auch außerhalb der Cahiers, daß innereuropäische Sensibilitäten sich nicht so ohne weiteres globalisieren lassen: Was „Vier Hochzeiten und ein Begräbnis“, hergestellt mit kleinem Budget, zu monumentalem Kassenerfolg geriet, wird „Wilde Herzen“ eben nicht gelingen. Was vom Tage übrigbleibt, wird man sehen, wenn die EUMinister die Quoten entgültig kassiert haben.

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