: Zwangsarbeiten im „Kamel-Corps“
Ägyptischer Historiker will Britische Regierung wegen Zwangsrekrutierungen im Ersten Weltkrieg auf 1,5 Milliarden Dollar Schadensersatz verklagen / Präzedenzfälle gibt es genug ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary
Da sitzt er in seinem bescheidenen kleinen Haus inmitten Kairos, seine Papiere sind wohl geordnet, die Augen lächeln hinter der schweren Brille hervor: Der Mann, der die britische Regierung auf 1,5 Milliarden US Dollar Schadensersatz verklagen will.
Mit seinen 73 Jahren ist der ägyptische Historiker Amin Ezzeddin jünger als sein Fall. Der liegt inzwischen immerhin 80 Jahre zurück. Nach Angaben Ezzeddins sollen die Briten im Ersten Weltkrieg mindestens 400.000 Ägypter zum Zwangsdienst verpflichtet haben. In zwei speziellen Einheiten, dem „Ägyptischen Arbeits- Corps“ und dem „ägyptischen Kamel-Corps“, halfen die Ägypter den Briten in ihrem Krieg beim Transport von Munition, Ausheben von Schützengräben, dem Bau von Eisenbahnlinien und anderen Arbeiten, für die sich die Kriegsherren aus dem Norden zu schade waren. Nach Palästina, Irak, Griechenland und bis hin nach Frankreich sollen sie verschickt worden sein. Zudem sollen die Briten 170.000 Kamele und 80.000 Esel konfisziert und nach dem Krieg wieder verkauft haben.
400.000 Ägypter zum Dienst verpflichtet
Möglich wurde diese Rekrutierung durch die Tatsache, daß Ägypten seit 1882 als britisches Protektorat verwaltet wurde. Erst 1956, mit der Verstaatlichung des Suezkanals, verließen die letzten britischen Truppen das Land. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs waren es vor allem Bauern aus dem Süden Ägyptens, die zunächst für einen Einsatz in Griechenland von der britischen Armee unter Vertrag genommen wurden. Als sich die Härte der Arbeit und die verheerenden Arbeitsbedingungen in Ägypten herumsprachen, meldete sich niemand mehr freiwillig. Zuviele der Bauern waren von ihrem Einsatz nicht mehr zurückgekommen.
Also veränderten die Briten ihre Rekrutierungsmethoden. Sie forderten von den „Umdas“, den Dorf-Bürgermeistern, jeweils 50 Männer zum Zwangsdienst. Ezzeddins Vater, selbst ein Umda, hatte die Geschichte an seinen Sohn weitergegeben. „Er hat wie alle anderen Umdas die 50 Männer zusammengesammelt und sie in die Provinzhauptstadt zu den Briten geschickt“, erzählt sein Sohn.
Der Fall beschäftigte Ezzeddin bereits seit den 40er Jahren, als er in Oxford studierte. Auf die Idee, Schadensersatz zu fordern, ist er das erste Mal letztes Jahr gestoßen, als sich die frühere Besatzungsmacht Japan für die Verwüstungen in Südkorea in den 30er und 40er Jahren offiziell entschuldigt hatte. Tokio hatte angekündigt, über eine mögliche Entschädigung koreanischer Zwangsarbeiter nachzudenken. „Ein bemerkenswert paralleler Fall“, glaubt Ezzeddin.
Inzwischen hat er ein „Nationales Komitee“ gegründet, dem eine Reihe von ägyptischen Historikern und Juristen angehören. Das Komitee soll die Entschädigungsklage im Detail ausarbeiten und recherchiert vor allem die Todesfälle aufgrund der Arbeit, nicht bezahlte Löhne, Dienst ohne Gegenleistung und ähnliche Kategorien.
„Zum Glück“, sagt der agile Geschichtswissenschaftler, „haben die Briten alles penibel aufgezeichnet.“ Die Ägypter stützen sich meist auf Quellen des britischen Außenministeriums und auf ein Buch des Militärhistorikers Colonel D. G. Elgood, in dem dieser detailliert über die Zwangsarbeit berichtet. Über 4.000 Ägypter sollen bei den Zwangsarbeiten ums Leben gekommen, weitere 1.450 sollen verletzt worden sein.
Ein „Nationales Komitee“ recherchiert die Vergehen
„Jetzt im Fastenmonat Ramadan geht alles etwas langsam, aber in wenigen Wochen werden wir wieder mit voller Kraft den Fall vorbereiten, um ihn möglichst bald vor ein britisches Gericht zu bringen“, kündigt Ezzeddin an. Es müsse nur noch die Frage des Eigeninteresses geklärt werden. Im Moment versucht das Komitee die Namen der Enkelkinder der damaligen Zwangsarbeiter zu sammeln, um dieses Problem zu lösen. Präzedenzfälle, wie die Zahlung von Schadensersatz an die Briten durch die ehemalige Sowjetunion, 1948, für die Verstaatlichung einer von den Engländern gebauten Eisenbahnlinie, gebe es genug.
Die Regierung in Kairo hat sich bisher nicht eingeschaltet. „Und das ist gut so“, erklärt Ezzeddin. Ansonsten würde der Fall „diplomatisch verwässert.“ Die Regierung will nicht ihre guten Beziehungen zu Großbritannien ruinieren , meint auch Ahmad Yussuf, Professor für Internationales Recht. Für die schwierigen Gespräche mit dem Internationalen Währungsfond (IWF) benötige Kairo die Hilfe Londons, fügt er hinzu.
Doch Ezzeddin ist optimistisch. Gemeinsam mit dem Komitee, das meist aus alten Kollegen und Freunden besteht, glaubt er es zu schaffen. Mit dem Geld, so der rüstige 70er, könnten in den Dörfern Krankenhäuser und Schulen gebaut werden.
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