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Hier ist der Idealismus zu Hause

Die „Alte Möbelfabrik in Köpenick  ■ Von Petra Brändle

Es regnet durch. Dazu schmeichelt es „Dear passengers“ aus dem Lautsprecher auf dem Bahnhof Alexanderplatz. Ein leicht zu durchschauender Versuch der Besänftigung, auch angesichts der vorsätzlichen Verwirrung der Stadtreisenden. S-Bahnen zum Beispiel haben zwar auf dem Plan Nummern, nicht jedoch auf der Ankündigungstafel. Dort steht meist auch nicht die jeweilige Endstation, sondern irgendein Dorf auf der Strecke dorthin.

„Fasten seat belts“, denkt es unwillkürlich in einem drin, und: klar zum Start. Zwei Termine in Köpenick. Das klingt verdächtig nach hilfreicher Stewardess, deftigem Reiseproviant und guter Reiselektüre. Sechs Stunden Fahrt, summa summarum, nach solch langer Autofahrt hingen wahlweise wenigstens die Alpen lächelnd am föhnigen Horizont, oder es plätscherte der Rhein, noch karnevalstrunken, zu unseren Füßen.

So aber ist das Pflaster uneben, die Trabis tragen Lammfell und Selbstgehäkeltes um ihr Lenkrad, die große Mehrzahl der Autos aber, westliche Kleinwagen in Dunkelblau, funkeln, sind blankpoliert, und alle zusammen verstopfen sie die Altstadt.

Dette also is Köpenick. Hier spielt man im Stadttheater Berlinische Mundart und den „Hauptmann von Köpenick“, während sich die einzigen HausbesetzerInnen des Bezirks eine alte Kate ausgesucht haben, die sich in den Schatten des benachbarten Plattenbunkers der örtlichen Polizei schmiegt.

Hier, genau hier ist der Idealismus zu Hause. Hier werden im Winter morgens um sechs die Kohleöfen eingeheizt, wenn Schülergruppen zur Projektarbeit angesagt sind, jeder macht alles, und die Stimmung ist freundlich. Abends, wenn Lou Reed aus der Dose singt, erstrahlt die „gute Stube“ im Kerzenlicht, mollige Wärme strömt aus dem Ofen. Die „Alte Möbelfabrik“: ein alternatives Kulturzentrum. Im Angebot sind Lesungen, Musik, B-Movies und No-Budget- Filme oder Ausstellungen, sonntags ein Theaterfrühstück für die Familie, Kindertheaterstücke und auch Theater für Jugendliche und Erwachsene.

Dazu bietet die sechsköpfige Theatergruppe eben auch Projektarbeiten für SchülerInnen an. Hörspiele und Szenen werden erarbeitet, eine Zeitung kann produziert werden, auch Instrumente werden gebaut und in Eigenkomposition getestet. Geplant sind außerdem Kabarettabende und eine Operette von Offenbach.

Vor fünf Jahren wurde die „Alte Möbelfabrik“ besetzt, natürlich nicht ohne vorher die Baupläne einzusehen und zu prüfen, ob das Gebäude die erwarteten Publikumsmassen tragen könnte. Damals war die Zeit günstig, denn die ersten freien Wahlen standen an, und so konnten sich die BesetzerInnen der Unterstützung der Bürgerbewegung, der neu gegründeten SPD und der Öffentlichkeit sicher sein. Und so kam es auch, daß die benachbarte Polizei niemals eine Bedrohung war, sondern später, als so viele linke Kulturhäuser Überfälle von rechten Randalierern fürchten mußten, vielmehr Sicherheit und Schutz bot. Selbst heute, wenn die Alarmanlage mal versehentlich losgeht, sind die „Freunde und Helfer“ prompt zur Stelle.

Legalisierte BesetzerInnen und Polizei pflegen eine gutnachbarschaftliche Beziehung – die „Alte Möbelfabrik“ täuscht Erwartungen. Auch in anderer Hinsicht. Die Theatergruppe schafft es gar, ein Kindertheaterstück auch für Erwachsene unterhaltsam und amüsant zu spielen. „Die Geschichte vom Baum“ ist ein Märchen um eine Eberesche (Sabine Perez), die einen Goldschatz unter ihren Wurzeln birgt und diesen ausgerechnet zwei zufällig vorbeikommenden Taugenichtsen (gerade in leicht depressiver Stimmung) schenken will. „Klavier“ und „Radar“, gespielt vom Sänger Ingo Volkmer und Schauspieler Torsten Waligura, sind eine Mischung aus Straßenarbeitern, Cowboys und Landstreichern, seelenverwandt mit Becketts Wladimir und Estragon. Komisch sind ihre kleinen, wehmütigen Gesten, die Zänkereien sind nicht betulich auf angeblich kindliches Niveau heruntergeschraubt, sondern frisch und rotzig. „Yep, okay“ schleudert Radar so hin, zusammen mit Klavier führt er einen Freudenrap auf, der Klasse hat. Zur rauhen Welt der Gauner gesellt sich die Sanftheit der sprechenden Esche, unter Vogelzwitschern bringt sie ihre Botschaft: „Das kann man nicht erklären, und trotzdem ist es wahr.“ Kurz vor der Sprengung durch Radar erblüht sie vor Angst und läßt einen silbernen Blütenregen auf die beiden Plünderer nieder. Ein Kindertheaterstück mit frecher Phantasie und wundersamen Wendungen, doch – zum Glück – sehr von dieser Welt.

„Der ist doch jetzt Tischler“, ging das Gerücht um den Sänger Ingo Volkmer, ab und zu trifft in der „Alten Möbelfabrik“ auch Post von der Berufsgenossenschaft Holz ein. Tatsächlich war die Möbelfabrik bis 1933 eine Möbelfabrik, die letzten 37 Jahre aber stand sie leer. Und die sechs Mitglieder aus der Theatergruppe (neben den drei SchauspielerInnen auch eine Dramaturgin, eine Masken- und Kostümbildnerin sowie eine Kulturwissenschaftlerin für die Organisation) sind jetzt so etwas wie ihre eigenen MeisterInnen, denn sie haben vom Stadttheaterbetrieb in den freien Theaterbereich umgesattelt. Ganz offensichtlich macht es ihnen auch Spaß. Hier spürt man, daß Kindertheater mehr ist als nur ein sicheres Standbein, mit dem man sich schauspielerisch über Wasser halten kann.

Hier wird man auch nicht einfach für irgendeine Rolle besetzt, eigene Ideen können sehr leicht umgesetzt werden. Torsten Waligura beispielsweise hatte vor Jahren Harold Pinters Einakter „Der stumme Diener“ gelesen, nun hat er das rätselhafte Zweipersonenstück inszeniert.

Es ist eine „ruhige“ Arbeit, weder hat er den Text für Eskapaden genutzt, noch brauchen Sabine Perez und Ingo Volkmer die großen Gesten, die man in mittelmäßigen Off-Gruppen häufig auszuhalten hat, wenn das schauspielerische Talent nicht ausreicht. Nein, die beiden haben ausreichend britisches Unterstatement verinnerlicht, um die sprachlichen Verwirrungen und das endlose Warten rüberzubringen. Und das ist keine Sekunde langweilig, sondern angenehm verwirrend.

Doch die Köpenicker wissen ihre Off-Theatergruppe anscheinend nicht angemessen zu schätzen. Gerade mal 18 Personen sind zur Vorstellung gekommen. Noch haben sie nämlich Schwellenangst; die „Möbelfabrik“ wird mit Chaoten und Punks gleichgesetzt, das Klo ist wahrscheinlich auch nicht vornehm genug.

Doch ab Frühsommer wird die Theatergruppe die „Köpenicker Biederkeit ein kleines bißchen bedienen“. „Nobel“ sollen die Herrschaften empfangen werden, wenn der Theatersaal in der Stadtmitte zwischen Bahnhof und Schloß fertig umgebaut sein wird. Für 1.700 Mark Miete monatlich hat die Gruppe den Raum auf zehn Jahre von der Stadt zugeschlagen bekommen. „Dann werden wir wohl bürgerlich“, prognostizieren sie. Doch den „Hauptmann von Köpenick“, den werden sie bestimmt nicht geben.

Alte Möbelfabrik, Karlstraße 12, Köpenick, mit Untergrund nach Alexanderplatz, anschließend mit der S-Bahn, Telefon: 6572116.

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