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Bernsteinigt Deutschland!

■ Eine bescheidene Hymne an den Zeichner und Dichter F.W. Bernstein

„Comics sind der graphisch gewordene Abschied des Textes von der Aufklärung“, schreibt eine Ulrike Winkelmann am 28. Februar 1995 in der Tageszeitung Junge Welt anläßlich des Comics „Amy Papuda“ von Michael Pearlstein. Kein den Untergang des Abendlandes herbeiächzender Altphilologe könnte das bornierter, ressentimentgeladener, kenntnisfreier und denunziatorischer ausdrücken als diese Zwanzigjährige. – Ganz anders und nachgerade schon topfit und chipsfrisch kommt der heute 57jährige Dichter und Zeichner F.W. Bernstein daher. Dünkelhafte Ignoranz gegenüber jedweden Erscheinungsformen der populären Kultur ist dem Professor für Karikatur und Bildgeschichte an der HdK Berlin wesensfremd. Dafür zeigt er sich im Tagesgeschäft voll auf Ballhöhe: Roman Herzogs hochgradig aggressives Credo „Es muß das Bild Deutschlands im Ausland so dargestellt werden, wie Deutschland im Moment wirklich ist: friedlich und unprätentiös“ setzte Bernstein in einem der für ihn typischen Wimmelbilder derart luzide um, daß die Heimstatt der 80 Millionen Frustschieber in ihrem ganzen dumpfen Zwang zur permanenten Selbstbehauptung ausgebreitet lag. Auch als Dichter hat F.W. Bernstein seit den frühen sechziger Jahren Felder bestellt, auf denen die Deutschen sonst eher mühevoll herumwürgen. Das Geschwätz von der Identität, das seit ein paar Jahren die Feuilletons und sog. Debatten verseucht, wäre nicht nötig noch möglich gewesen, hätten die Landsleute nur Bernsteins Gedicht „Identitätskrise“ gelesen: „Bin ich ein Fürst? Ein Bettelmann? / Bin Heil'ger ich oder Hur'? / Bin ich ein Gi-Ga-Gantenbein / oder ein Wuschel nur?“

Derzeit wird Bernstein mit einer Ausstellung geehrt, auf der, wie immer, viel zu wenig von ihm gezeigt wird: „Schön dumm“ heißt die Bilderschau im Ludwigshafener Stadtmuseum, und Bernstein begründet den Titel unter anderem so: „Erstens klingt es besser als / DEFIZIT und KLOSS IM HALS.“ Es ist wohl diese arglose Komik, diese Absage an jede Form der Wichtigwichtigkeiten, die einen so rückhaltlos für F.W. Bernstein einnimmt. Denn während seine Mitstreiter aus legendären WimS-, Pardon- und aus besseren Titanic-Tagen mittlerweile partiell doch arg ins Redundante, Parfümierte und Selbstgefällige spielen, bleibt Bernstein unbeirrt auf dem Teppich. Und hebt dann ganz ansatzlos und federleicht ab: „Ein bleicher weicher Kopfsalat / und ein kaputter Schuh; / ein nasser Hut, ein Stückel Draht – / viel schöner bist doch du“. In einem Land, in dem der Mähdrescher Wolf Biermann als Dichter gilt, kann man damit keinen Büchner- oder Heine-Blumentopf gewinnen. Aber wer will sich schon darüber beschweren? Wiglaf Droste

Noch bis zum 23. April im Stadtmuseum Ludwigshafen.

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