: „Ein unheimliches Gefühl für Technik“
■ Von der Aktion „Blinde hinterm Steuer“ können AutofahrerInnen nur lernen Von Kai von Appen
„Blinde hinterm Steuer“ - so lautete das Motto einer Aktion, die Blindenverein, Fahrlehrerverband und Hamburger Verkehrswacht gestern auf dem Verkehrsübungsplatz Rothenburgsort präsentierten. Was zunächst etwas skurril anmutet, hat durchaus Hand und Fuß: „Blinde sollen ein Gefühl für den Straßenverkehr bekommen, auch Verständnis für den Autofahrer entwickeln, warum er mal bei Grün nicht so schnell anfährt oder an einem Zebrastreifen nicht immer schnell genug bremsen kann“, erklärt Sabine Darijus, Vizechefin des Hamburger Fahrlehrerverbands, den Sinn der Übung.
Vor zwei Jahren war der Blindenverein an den Fahrlehrerverband mit der Bitte herangetreten, Blinde auch mal hinters Steuer zu lassen. „Zuerst waren wir ein wenig verdutzt“, gibt Darijus zu, doch mittlerweile betreut die Fahrlehrerin bereits die dritte Veranstaltung dieser Art - „mit sehr guten Erfahrungen“. Denn auch die FahrlehrInnen haben dabei einiges lernen können. Darijus: „Wir waren erstaunt, wie schnell Blinde ein unheimliches Gefühl für Technik entwickeln.“ Zum Beispiel die Pedalbedienung. Darijus: „Das Anfahren muß ich mit meinen Schülern oft noch in der dritten Fahrstunde üben, hier mit den Blinden klappt das meist nach zehn Minuten.“
Ein Fahrlehrer, der gerade vom Parcours kommt, ist erstaunt: „Die Fahrerin hat an dem Fahrgeräusch gemerkt, daß sie einen Karavan lenkt.“ Obwohl die blinden FahrschülerInnen allein durch Richtungsanweisungen des Fahrlehrers über die engen Fahrbahnen gelotst werden – was äußerste Konzentration erfordert –, nehmen viele Blinde ihre Umgebung wahr: „Sie hat sofort gemerkt, daß wir am Wasser vorbeigefahren sind“, schwärmt der Lehrer: „Nachdem wir das dritte Mal die Bahnen abgefahren hatten, wußte sie schon ganz genau: ,Da kommt doch gleich die Rechtskurve'.“ Und auch für die Schülerin war die Tour ein Erlebnis: „Ein tolles Gefühl“.
Für Hans-Jürgen Vogt, Geschäftsführer der Hamburger Verkehrswacht, hat diese Aktion daher Vorbildcharakter. „Wir können lernen, daß wieder mehr Sensibilität auf den Straßen aufgebracht werden muß“, gibt Vogt zu bedenken. Denn während die Blinden allein durch die Anweisungen des Fahrlehrers das Auto über die Strecke lenken, herrsche im Straßenverkehr kaum Kommunikation – abgesehen vom „fuck off“. Es sei daher notwendig, neue Formen der Verständigung zu entwickeln, „und sei es nur der Blickkontakt“.
Hoffnungen, daß Blinde irgendwann einmal einen Führerschein erwerben können, möchte er allerdings nicht machen. „Das werden auch die tollsten Computer nicht leisten können“, bedauert Vogt. In Rothenburgsort jedoch werden Blinde auch weiterhin Auto fahren können.
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