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„Klarheit erst in allerletzter Minute“

■ Michael Bothe, Völkerrechtler und Professor der Universität Frankfurt, zum Verhalten des Bundestags und zu Planungen für den Abzug der Vereinten Nationen aus Bosnien

taz: Sie waren Bevollmächtigter der SPD im Verfahren um Out-of- area-Einsätze der Bundeswehr vor dem Bundesverfassungsgericht. Sie haben im vergangenen Jahr erreicht, daß die Karlsruher Richter die Zustimmung des Bundestags für solche Einsätze erstmals festgeschrieben haben. Nutzt der Bundestag seine Mitwirkungsrechte bei der Vorbereitung von Bundeswehreinsätzen beim Abzug der Unprofor aus Bosnien?

Michael Bothe: Er nutzt sie momentan nicht, weil der Einsatz nicht unmittelbar bevorsteht. Das kann sich von heute auf morgen ändern. Dann müssen die Abgeordneten sehr schnell entscheiden.

Die Bundesregierung macht den Nato-Partnern Zusagen unterhalb der Schwelle formalrechtlicher Verbindlichkeit. Der Bundestag muß darüber nicht abstimmen. Entsteht nicht trotzdem eine politische Verpflichtung, die den Entscheidungsspielraum des Parlaments einengt?

Die Gefahr besteht ganz sicher. Wir haben in dem Karlsruher Verfahren deshalb darauf gedrungen, daß auch solche politischen Zusagen der Parlamentszustimmung bedürfen. Vier von acht Richtern sind unserer Meinung gefolgt, aber das reichte nicht für die Feststellung einer Verfassungsverletzung. Aber die Partner der Bundesrepublik wissen seit der Karlsruher Entscheidung, daß deutsche Soldaten ohne Bundestagszustimmung nicht losgeschickt werden können. Nur wegen der langen gemeinsamen Planung des Einsatzes und der politischen Absprachen können sich die Partner nicht darauf verlassen, daß die deutschen Soldaten im Ernstfall auch anrücken.

Hätte der Bundestag nicht schon längst über eine Beteiligung am Abzug abstimmen müssen?

Das ist eine zweischneidige Sache. Die Abgeordneten müßten bei einer konkreten Entscheidung über eine größere Militäraktion genauere Vorstellungen darüber haben, was geplant ist...

...aber solche Vorstellungen gibt es doch. Bundesverteidigungsminister Volker Rühe hat der Nato eine detaillierte Aufstellung über deutsche Verbände zukommen lassen, die zur Verfügung gestellt werden können.

Aber man weiß noch nicht, wie diese Aktionen des Herausholens der UN-Verbände genau aussehen sollen. Da ist noch sehr vieles unklar.

Was spricht dann für eine Abstimmung?

Die Abstimmung würde Sicherheit schaffen für die anderen Staaten und die Nato. Es ist nicht vernünftig, daß Klarheit über eine deutsche Beteiligung erst in allerletzter Minute besteht.

Läßt das Parlament nicht Einflußmöglichkeiten ungenutzt, wenn es nicht darauf drängt, möglichst früh zu entscheiden?

Formell kann das Verfahren nur von der Bundesregierung eingeleitet werden. Solange sie keine offizielle Zusage machen will, gibt es auch nichts abzustimmen. Die Gefahr besteht allerdings, daß im internationalen Vorfeld eines Einsatzes durch die Regierung Festlegungen versucht werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil angeregt, der Bundestag solle Form und Bedingungen seiner Mitwirkung an Auslandseinsätzen näher ausgestalten. Die Fraktionen kümmern sich aber nicht um ein Entsendegesetz. Ist das Mißachtung des Gerichts?

Nein. Parlament und Regierung machen sich nur selbst Schwierigkeiten, wenn jedesmal improvisiert werden muß, sobald der Ernstfall droht. Der Bundestag wäre schlecht beraten, wenn er nicht ein Entsendegesetz erarbeiten würde, mit dem das Verfahren geregelt wird. Ich würde es bedauern, wenn ein solches Gesetz nicht gründlich vorbereitet und bald verabschiedet würde – auch weil Einzelheiten der Stellung der Bundeswehrsoldaten bei solchen Einsätzen noch definiert werden sollten.

Leider werden solche Regelungen dann oft unter starkem Druck getroffen. Man wird bei dieser Gelegenheit dann wahrscheinlich lernen, daß es gut gewesen wäre, solche Dinge rechtzeitig und in Ruhe zu regeln.

Bei den UN gibt es aus finanziellen Gründen Überlegungen, für den Abzug der eigenen Truppen aus Bosnien kein neues UN-Mandat zu erteilen. Können deutsche Soldaten die Sicherung abziehender Blauhelmsoldaten auch ohne Beschluß des UN-Sicherheitsrates, also nur im Nato-Auftrag, übernehmen?

Das bezweifle ich. Das Karlsruher Urteil schreibt meiner Meinung nach vor, daß nur ein Auftrag der UN die Grundlage für einen deutschen Einsatz sein kann. Die Nato bezieht ihre Berechtigung zu Maßnahmen der Friedensicherung von den Vereinten Nationen. Andere Verfassungsrechtler vertreten allerdings die Meinung, die Nato sei auch für sich allein ein System der kollektiven Sicherheitt, weshalb deutsche Aktionen allein im Nato-Auftrag vom Grundgesetz gedeckt seien.

Ist denn ein neuer UN-Beschluß für den Abzug notwendig, oder decken frühere Mandate diesen Schritt?

Letzteres halte ich nicht für möglich. Es gibt zwei unterschiedliche Mandate, einmal das der UN- Schutztruppe (Unprofor), zum anderen, davon getrennt, unterschiedliche Aufträge für Staaten, die einzeln oder gemeinsam handeln können – das ist die Grundlage der Nato-Aktivität. Letztere sind sehr begrenzte Mandate für ganz bestimmte Unterstützungshandlungen für die Unprofor.

Ein UN-Mandat für den Abzug läßt sich nicht konstruieren. Ohne neue UN-Entscheidung wäre die Nato beim Abzug auf sich gestellt, was für mich heißt: Die Bundeswehr dürfte nicht teilnehmen.

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