piwik no script img

Nachschlag

■ „Iwan Wassiljewitsch“ von Bulgakow im Maxim Gorki Theater

Daniel Düsentrieb wäre hingerissen von dieser Maschine. Ein Ofenrohr, eine Fahrradkette, ein Monitor und allerlei Lämpchen sind zum Meisterwerk des genialen Erfinders Timofejew zusammengeschweißt: zu einer Zeitmaschine. Die Reise ins Moskau Iwans des Schrecklichen bringt die aus der Weltliteratur bekannten Eingewöhnungsprobleme und Pannen mit sich. Trotzdem ist Michail Bulgakows „Iwan Wassiljewitsch“ ein Zeitstück. Der Großteil der Komödie spielt in Bulgakows Gegenwart.

1935 herrscht in Moskau Wohnungsnot. Das Zimmerchen des Ehepaars Timofejew ist von der Maschine schon ganz überwuchert, als die leichtsinnige Sinaida (Katka Kurze) mit einem Filmregisseur durchbrennt. Sorgfältig vermerkt der Hausverwalter Iwan Wassiljewitsch den Vorgang im Hausbuch. Die Maschine jedoch ist zuviel für seine Blockwart-Seele: „Den Raum durchdringen? Das geht nur mit Genehmigung der Miliz!“ Denkste, schon verschlägt es ihn ins 16. Jahrhundert, während Timofejew (Daniel Minetti) aus Versehen Iwan den Schrecklichen in die Gegenwart holt. Derselbe Schauspieler verkörpert den despotischen Zaren und den duckmäuserischen Verwaltungs-Tyrannen. Kraftmeiernde aber im Grunde schwache Polterer sind Hansjürgen Hürrigs Spezialität. Aber bei allen Ähnlichkeiten betont er doch in Miene und Haltung den Unterschied im Format: Der Schreckliche setzt sich auch in seiner neuen Umgebung gut durch („Kopf ab!“), Iwan Wassiljewitsch dagegen klammert sich selbst auf dem Zarenthron furchtsam an sein Hausbuch. Am Ende kehren alle wieder in ihr Jahrhundert zurück. Aber die Miliz hat Lunte gerochen und nimmt sämtliche Hausbewohner fest.

„Iwan Wassiljewitsch“ entstand aus einigen Szenen des verbotenen Stücks „Glückseligkeit“, in dem Bulgakow seinen Erfinder auch in die Zukunft reisen ließ. Aber auch das neue, unverfänglichere Stück mußte der Autor umschreiben: In einer zweiten Fassung träumt Timofejew die ganze Handlung. Trotz all dieser Einschränkungen durfte „Iwan Wassiljewitsch“ nicht aufgeführt werden. Die politische Brisanz, die das Stück einmal hatte, läßt sich heute kaum noch nachvollziehen. Martin Meltke hat klugerweise nicht versucht, sie in unsere Zeit hinüberzuretten, sondern das Stück als verspielte, märchenhafte Komödie inszeniert, mit viel Sinn für die komischen Nebenfiguren. Iwan Wassiljewitschs Frau (Ursula Werner), eine Matrone im wurstpellenengen Kleid, bringt die Leute allein schon durch ihren Gang zum Lachen. In dem Mietshaus bilden wacklige Wände schiefe Winkel, als hätte ein Kind es gebastelt. Und die prächtige Tafel im Palast Iwans des Schrecklichen ist so rasch und reich besetzt wie das Tischleindeckdich (Bühne: Änn Schwerdtle). Ein Traumspiel, ein Märchen. „Iwan Wassiljewitsch“ ist auf dem besten Wege, zeitlos zu werden. Miriam Hoffmeyer

Wieder am 9./15.3., 19.30 Uhr, MGT, Unter den Linden, Mitte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen